Das Wichtigste in Kürze
Die Erkrankung äußert sich von Geburt an durch eine Beugung der distalen
Abschnitte meist beider Vorder- oder aber Hintergliedmaßen. Ziel des
Eingriffs bei hochgradiger Beugung ist die Durchtrennung der oberflächlichen
und tiefen Beugesehnen, falls notwendig auch des M. interosseus medius und
anschließende Streckung der Gliedmaße durch einen Kunststoffverband.
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Die Ursache der von Geburt an bestehenden Erkrankung ist nicht vollständig geklärt. Männliche (große) Kälber und Tiere aus Zwillingsgeburten sind häufiger betroffen. Eine erbliche Komponente ist möglich. Weitere mögliche Ursachen siehe Kapitel NMDC im Skript über Innere Krankheiten. Unbehandelt kann es zu Dekubitus im dorsalen Fesselbereich und Arthritis kommen.
Im Rahmen der Diagnostik muss abgeschätzt werden, ob eine Korrektur der Beugung durch Durchtrennung von Sehnen notwendig und erfolgversprechend ist. Während bei geringgradiger Beugung (die Tiere können noch dauerhaft selbstständig auf den Zehenspitzen stehen (Grad 1, eine Behandlung ist häufig nicht nötig, weil die Streckung sich in den ersten Lebenswochen von allein ausbildet) und bei mittelgradiger Beugung (Grad 2, Einknicken in den Fesselgelenken, Streckung der Gliedmaße mit mäßigem Kraftaufwand gerade noch möglich, Korrektur durch an die Klauensohlen angeklebte "Brettchen" (siehe Kapitel NMDC), Longetten oder Streckverbände) ein Durchtrennen der Sehnen nicht notwendig ist, besteht bei hochgradiger Beugung (Grad 3, vollständige Streckung auch mit viel Kraft nicht möglich) eine Indikation zum chirurgischen Eingriff. Sind auch die Gelenkflächen verformt, ist von einem OP-Versuch abzuraten.
Verabreichung eines Schmerzmittels, Nahrungskarenz für 12 Stunden, Kalb in Rückenlage fixieren, aseptische Vorbereitung des Operationsgebietes
Der chirurgische Eingriff dauert ca. 20 - 30 Minuten. Als Anästhesie können Lokalanästhesie mit einem 2%igen Lokalanästhetikum ohne Sperrkörper (Sedation: 0,3 mg/kg Xylazin), Totale Intravenöse Anästhesie (TIVA) oder Inhalationsanästhesie genutzt werden.
Eine Hilfsperson streckt während des Eingriffs die Gliedmaße durch Druck auf die Klauenspitzen. Inzision der Haut in Längsrichtung in der Mitte des Metacarpus, direkt über den Beugesehnen auf ca. 3,5 cm Länge. Die sichtbar werdende Faszie wird in gleicher Richtung durchtrennt. Unter der Faszie befinden sich oberflächliche und tiefe Beugesehnen, darunter der M. interosseus medius. Während die tiefe Beugesehne als einheitliche Struktur durch den Karpaltunnel zieht, ist die oberflächliche Beugesehne bis in die Mittelfußgegend zweigeteilt. Zwischen Faszie und M. interosseus medius liegen also drei – und nicht nur zwei – Sehnenstränge, die bei einer Tenotomie zunächst mit einer geknöpften Sonde oder Schere unterfahren und dann mittels Skalpell durchschnitten werden müssen (s. auch Anatomie an einem Präparat). Unmittelbar neben dem Sehnenpaket verlaufen Nerven und Blutgefäße, die bei der Durchtrennung geschont werden müssen.
Vom M. interosseus medius spaltet sich eine plattenförmige Verbindung zur oberflächlichen Beugesehne ab und bildet mit dieser oberhalb des Fesselgelenks röhrenförmige Manschetten. Bei tiefer Präparation erscheint in der distalen Hälfte des Metacarpus diese Verbindungsplatte als breiter Strang. Unterhalb des M. interosseus medius verlaufen die tiefen Mittelfußgefäße. Da diese mit dem Periost des Röhrbeins fest verbunden sind, können sie bei einer Unterminierung des M. interosseus medius nicht ausweichen und es kann zu schwer stillbaren Blutungen kommen. Der Nutzen einer zusätzlichen Durchtrennung des M. interosseus medius ist jedoch häufig nicht nennenswert.
Für den Wundverschluss wird die Haut mit zwei U-Heften verschlossen, ein
Verschluss der Faszie ist nicht notwendig. Die Wunde wird mit Gaze oder einer
Wundfolie abgedeckt.
Anschließend wird die Gliedmaße von distal nach proximal bis handbreit oberhalb
des Ellenbogen- oder Kniegelenks mit Watte gut abgepolstert und die Watte mit
einer Binde fixiert. Anschließend werden in der Regel zwei Kunstoffbinden (Breite: 10
cm, Länge: 360 cm) pro Gliedmaße benötigt. Proximal sollte etwas Watte über den
Verband hinausschauen, distal sollten die Klauen vollständig eingepackt werden,
damit keine Feuchtigkeit von unten in den Verband eintreten kann.
Vor dem Anlegen der Kunststoffbinden kann optional eine Lage
Krepppapier aufgebracht werden. Dies erlaubt nach medialem und lateralem
Aufsägen
der Kunststoffbinde (z.B. mit einer oszillierenden Säge oder über vor dem
Aufbringen der Kunstoffbinde eingelegten Sägedrähten nach LIESS) das Abheben des Castverbandes als zwei Schalen zu Kontrollzwecken
(oder zur endgültigen Entfernung der Verbände). Nach erneutem Aufbringen
einer Polsterung können die beiden Schalen dann wieder zusammengefügt und
mittels Textilklebeband umwickelt werden.
Palmare Seite einer Vordergliedmaße, Mitte des Metacarpus, Hautlängsschnitt parallel zur Gliedmaßenachse, ca. 3,5 cm lang.
Faszie eröffnet, darunter sichtbar die oberflächliche Beugesehne und median gelegene Blutgefäße (A. und V. mediana) und der N. medianus.
Die oberflächliche Beugesehne wurde - unter Schonung von Blutgefäßen und Nerv - mit einer geknöpften Sonde unterminiert.
Durchtrennung der oberflächlichen Beugesehne.
Nach Durchtrennung der oberflächlichen Beugesehne weichen die beiden Sehnenenden auseinander, darunter wird die tiefe Beugesehne sichtbar.
Wird der Zugang am Metacarpus weiter proximal gewählt, kann die oberflächliche Beugesehne noch aus zwei Anteilen, nämlich aus einem oberflächlichen und einem tiefen Anteil bestehen, die dann ggf. beide durchtrennt werden müssen. Die beiden Anteile vereinigen sich weiter distal zu einem gemeinsamen Strang (wie beim vorliegenden Eingriff vorgefunden).
Unterminieren der tiefen Beugesehne mittels geknöpfter Sonde.
Durchtrennen der tiefen Beugesehne.
Zwischen den auseinandergewichenen Enden der tiefen Beugesehne wird in der Tiefe der M. interosseus medius sichtbar..
Verschluss der Haut mittels zweier U-Hefte.
Abdeckung der Wunde durch eine Schutzfolie.
Zum Anbringen eines Streckverbandes wird zunächst eine Lage Watte zur
Polsterung aufgebracht.
Das Os carpi accessorium wird zusätzlich durch ringförmig gelegte Watte
gepolstert.
Die Polsterung muss in ein bis zwei Lagen bis zum Ellenbogenhöcker geführt werden.
Die Wattepolsterung wird mittels einer Binde fest umwickelt.
Damit der anschließende Kunststoffverband nicht mit der elastischen Binde verklebt, wird zunächst eine Lage Krepppapier aufgewickelt.
Die Kunststoffbinden werden zunächst kurz mit Wasser getränkt.
Zur Abdeckung der Klauensohlen wird zunächst aus drei bis vier Lagen Kunststoffbinde eine Platte gelegt.
Nach dem Aufbringen der Platte auf die Klauensohle wird die Kunststoffbinde von distal nach proximal fest auf die Gliedmaße aufgewickelt.
Während des Wickelvorgangs bis zum Aushärten der Kunststoffbinden muss die Gliedmaße im Fesselgelenk soweit wie möglich gestreckt werden.
Benötigt werden mindestens zwei Binden (10 cm breit, 360 cm lang) pro Gliedmaße.
Proximal soll die Polsterung mindestens 3 - 4 cm herausstehen, damit das Risiko für die Entstehung von Drucknekrosen reduziert wird.
Zum Entfernen oder Öffnen des Kunststoffverbandes kann eine oszillierende Säge genutzt werden. Das Sägeblatt oszilliert nur, es dreht sich nicht!
Wenn keine oszillierende Säge für das Aufschneiden der
Kunstoffverbände zur Verfügung steht, kann man bereits während des Anlegens der
Verbände (nach dem Anlegen der elastischen Binde) sowohl lateral als auch medial
einen Sägedraht nach LIESS (geschützt durch einen abgeschnittenen
Infusionsschlauch) einlegen. Die weiteren Schichten (Krepppapier,
Kunststoffverbände) werden genauso angelegt, wie zuvor beschrieben.
Infusionsschlauch mit eingelegtem Sägedraht..
Der vom Infusionsschlauch geschützte Anteil des Sägedrahts wird zunächst mit Klebeband fixiert und dann mit einer Schicht Krepppapier umwickelt. Die Enden schauen nach distal und nach proximal heraus.
Nach dem Aufbringen des Kunststoffverbandes werden die herausstehenden Enden der Sägedrähte nach distal bzw. nach proximal geklappt und mit Klebeband abgedeckt. Sie dienen später zum Anbringen der Drahtsägegriffe, wenn der Kunststoffverband eröffnet werden soll.
Zum Entfernen oder Öffnen des Kunststoffverbandes, werden an die beiden Sägedrahtenden Griffe montiert und durch wechselseitigen Zug die Schale aufgesägt
Fotos: M. Metzner
Fortführung der Antiphlogese nach Bedarf.
Je nach Grad der noch bestehenden Winkelung muss der Verband unter Umständen nach ca. 5 Tagen abgenommen und unter Streckung der Gliedmaße ein neuer Verband angelegt werden.
Bei komplikationsloser Wundheilung können die Hauthefte und Verbände 3 - 4 Wochen nach dem Eingriff entfernt werden. Wenn die Gliedmaße noch nicht vollständig gestreckt ist, muss anschließend noch eine Versorgung mittels "Brettchen" erfolgen, oder es müssen erneut Kunstoffstreckverbände angelegt werden.
Wundinfektion, zur Kontrolle können die Verbände lateral und medial aufgesägt und nach Wundkontrolle und erneuter Polsterung wieder angelegt werden.
Die Heilungsaussichten sind insgesamt gut, wenn es durch den Eingriff gelingt
eine weitgehende Streckung im Fesselbereich zu erzielen.
Liegen Gelenkveränderungen vor, die dies verhindern, sollte von einem Eingriff
abgesehen werden. Dies zuvor richtig einzuschätzen ist nicht trivial. Eine
Winkelung von 90° oder mehr im Fesselbereich kann durch eine Durchtrennung von
oberflächlicher und tiefer Beugesehne nicht behoben werden.