Rechtsseitige Labmagenaufgasung, -verlagerung und -drehung
 
W. Klee, M. Metzner , C. Bork, G. Knubben
 
 

Das Wichtigste in Kürze

Ätiologie und Pathogenese ungeklärt, Zusammenwirken einer genetischen, mechanischen und Fütterungskomponente wird vermutet. Auftreten meist etwas später in der Laktation als die linksseitige LMV. Klinische Erscheinungen abhängig davon, ob neben einer Verlagerung auch eine Verdrehung des Labmagens vorliegt. Bei alleiniger Verlagerung wechselhafter Appetit, sekundäre Ketose, Klingeln rechts. Bei zusätzlicher Verdrehung akutes Krankheitsgeschehen: Dehydratation, Tachykardie, anfangs metabolische Alkalose, später Azidose, Blässe, wenig pappiger Kot. Kälber zeigen ein deutlich aufgetriebenes Abdomen. Klingeln und Plätschern rechts, kein Leberperkussionsfeldd. Diagnose klinisch, Therapie chirurgisch (s. Skript Chirurgie). Laparotomie mit Reposition und Fixation des Labmagens. Energische Flüssigkeitstherapie.


 

Prüfungsstoff
 
 
Pathogenese Differentialdiagnose
Epidemiologie Therapie
Klinische Erscheinungen Prognose
Diagnose Prophylaxe

 

Pathogenese:
Vermutlich wie bei linksseitiger Labmagenverlagerung (Hypotonie, Gasansammlung, siehe dort). Meist tritt sie etwas später in der Laktation auf. Als Grund dafür wird diskutiert, dass einige Wochen (im Gegensatz zu unmittelbar) post partum der Pansen wieder eine wirksame Barriere gegenüber einer linksseitigen Verlagerung des Labmagens bildet. Rechtsseitige Verlagerung und Erweiterung kann über Tage bestehen, während die Torsion stets mit einem perakuten Krankheitsgeschehen verbunden ist. In die Drehbewegung sind auch der Psalter und die Haube einbezogen, wodurch deren Zu- und Abfluss mehr oder weniger stark unterbrochen wird. Die Haube kommt dabei mitunter kaudal des Psalters zu liegen. Blut- und Lymphgefäße der betroffenen Gebiete werden abgeschnürt, es kommt zu Ansammlung großer Mengen Flüssigkeit im Labmagen, Ödematisierung der Darmwand und hämorrhagischer Infarzierung des Konvoluts.


Im Zeichentrick wird versucht, die Drehbewegungen des Labmagens schematisch darzustellen: zunächst steigt der Fundusbereich entlang der rechten Bauchwand auf (Drehung um die Längsachse des Labmagens), dann dreht sich das Organ um eine vertikale Achse, so dass der Pylorus lateral, an der rechten Bauchwand zu liegen kommt. Die roten Linien stellen nur einen Teil des großen Netzes dar (inneres Blatt und seine Insertion im Pylorusbereich). In der Darstellung liegt die Drehstelle zwischen Labmagen und Blättermagen. Andere Varianten, mit Einbeziehung des Blättermagens, kommen auch vor.
 

Epidemiologie:
Rechtsseitige LMV kommt erheblich seltener vor als linksseitige LMV. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Die rechtsseitige LMV tritt häufiger mit als ohne Torsion auf.

Klinische Erscheinungen:
Sie hängen in erster Linie davon ab, ob der Labmagen nur aufgegast und verlagert, oder auch mehr oder weniger stark gedreht ist. Im ersten Fall sind die Symptome wie bei linksseitiger Verlagerung: wechselhafter Appetit, sekundäre Ketose, Klingeln rechts. Der zweite Fall führt zu einem akut oder perakut ablaufenden Krankheitsgeschehen: Dehydratation (im Labmagen kann sich Flüssigkeit in einer Menge bis etwa 6 % der Körpermasse ansammeln), häufiges Trinken, Anorexie, Tachykardie. Zunächst metabolische Alkalose (durch abomasalen Reflux, s. Glossar), zum Teil mit sogenannter paradoxer Azidurie (s. Laborskript Kapitel 13 „Untersuchung von Harn“), später metabolische Azidose (vermutlich L-Laktatazidose aufgrund einer Kreislaufinsuffizienz). Blasse Schleimhäute, kühle Körperoberfläche, nur wenig Kot im Rektum (dunkel, dünn, schmierig oder pappig). Bei Kälbern ist das Abdomen deutlich aufgetrieben.

Diagnose:
Schwing- und Perkussionsauskultation (Klingeln und Plätschern rechts), Leberperkussionsfeld mitunter verschwunden (Leber wird durch den Labmagen von der Bauchwand abgedrängt). Wenn das Klingeln in der rechten Hungergrube bis weit nach oben hörbar ist, kann das auf Zerreißung des Netzes hinweisen. Rektale Untersuchung: Gelegentlich ist ein gespanntes Hohlorgan rechts vorne tastbar. Weniger spezifische Befunde sind: Reduzierte Pansenfüllung und -motilität, Koliksymptome (durch Überdehnung der Labmagenwand, starken Zug am Mesenterium, Kontraktionen der glatten Muskulatur), positive Fremdkörperproben (v. a. Rückengriff). Bei unklaren Befunden kann eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden: Dabei wäre der Labmagen zwischen Bauchwand und Leber darstellbar, Reverberationsartefakte durch dorsale Gaskuppel, ventral hypo-/ echogene Ingesta und Falten der Labmagenschleimhaut.
Laborbefunde: Zu Beginn abomasales Refluxsyndrom (hypokaliämische, hypochlorämische Alkalose) dann Azotämie, Hämokonzentration (Dehydratation), erhöhtes Laktat.
L-Laktat ist ein gut untersuchter Biomarker für Gewebehypoxie, Sepsis und die Schwere der Erkrankung (s. Laborskript Kapitel 8.2 „L-Laktat“). Ausmaß und Dauer der Hyper-L-Laktatämie erlauben eine recht gute Prognose der Heilungschancen.  

Differentialdiagnose:
Blinddarmdilatation und -verlagerung (der Blinddarm lässt sich jedoch bei der rektalen Untersuchung meist eindeutig identifizieren, es sei denn, er ist nach vorn umgeschlagen, was dann aber ohnehin auch eine Indikation zur unverzüglichen chirurgischen Intervention darstellt); hintere funktionelle Stenose (s. Skript, hierbei ist der Pansen jedoch stark gefüllt); Eihautwassersucht (rektaler Befund: "Berg" vor dem Becken, außer Uterus keine Eingeweideteile spürbar, keine Fruchtteile spürbar); Dünndarmileus (meist kein Klingeln, rektaler Befund: aufgegaste Darmschlingen, manchmal derbe "Wurst" = Invagination spürbar); akute, generalisierte Peritonitis.

Therapie:
Chirurgische Intervention (s. Skript Chirurgie). KEIN Wälzen oder Toggeln (wie bei linksseitiger LMV)! Laparotomie in der rechten Flanke am stehenden Tier, beim Kalb in linker Seitenlage. Reposition des Labmagens, wenn nötig nach Punktion. Es sind verschiedene Drehrichtungen möglich. Erscheint nach Eröffnung der Bauchhöhle der "nackte" (also nicht von Netz bedeckte) Labmagen, handelt es sich meist um eine Torsion nach links und die Reposition ist dadurch möglich, dass der Labmagen, von rechts gesehen, um eine transversale Achse im Uhrzeigersinn gedreht wird. Die erfolgreiche Reposition ist daran zu erkennen, dass sich der Labmagen unter blubbernden Geräuschen (Abfluss von Gas in die Vormägen) rasch verkleinert.

Es sind auch endoskopische Methoden beschrieben (s. Skript Chirurgie) .

   Fresser mit rechtsseitiger Labmagenverlagerung. Das Organ war um 360 Grad nach links gedreht und ist jetzt bereits wieder aufgedreht (der Pylorus liegt im Bild rechts, d.h. nach kaudal). Die Labmagenwand wirkt noch relativ frisch => die Prognose ist eher günstig.

   Labmagenverlagerung nach rechts und Drehung um 360 Grad nach links. Die gesamte Labmagenwand ist blau-rot verfärbt (Blutversorgung längere Zeit unterbrochen) und wirkt sulzig (Ödem) => die Prognose ist infaust.


Energische Flüssigkeitstherapie mit physiologischer NaCl-Lösung ist wichtig (Reposition kann zunächst zusätzlich zu Kreislaufstörungen führen). Zusätzliche Infusion von 500 ml einer 25 %igen Ca-boroglukonat-Lösung (für ein erwachsenes Rind) wird zur Anregung der Labmagenmotorik empfohlen. In den ersten Tagen post op. kein Kraftfutter.

Prognose:
Insgesamt sind die Heilungsaussichten bei rechtsseitiger Labmagenverlagerung deutlich geringer als bei linksseitiger. Nach Angaben von REBHUN betragen die Heilungsaussichten bei Intervention nach 24 h unter 50 %; nach 48 h sind sie sehr schlecht. Folgende Befunde sind mit besonders schlechter Prognose verbunden: Herzfrequenz erheblich über 100, Chloridgehalt im Serum unter 80 mmol/l, Anionenlücke über 30 mmol/l, Labmagen schwärzlich verfärbt, Rückdrehung nicht ohne Punktion oder gar Eröffnung möglich, postoperative Hypomotorik. Über die Rolle der Reperfusionsproblematik ist beim Rind noch wenig bekannt. Durch Obstruktion/ Strangulation des Labmagens kommt es dort zu Ischämie, Entzündung und Nekrose, was auch nach Reposition weiter bestehen und sich sogar verschlimmern kann. Bei Wiedereinsetzen der Perfusion werden Sauerstoffradikale freigesetzt und aktivieren neutrophile Granulozyten und Adhäsine. Die Neutrophilen haften vermehrt an den Endothelien und wandern ins umliegende Gewebe, wo sie wiederum selbst Radikale und aggressive Botenstoffe freisetzen und damit weitere Gewebeschädigung bewirken (und damit erneut Entzündungszellen anlocken). Freie Sauerstoffradikale führen außerdem direkt (durch Lipidperoxidation) zu Schäden an Zellmembranen. Die verstärkte Akute-Phase-Antwort und oxidativer Stress führen somit zu einem Fortschreiten der Zellschädigung bei Reperfusion. In der Theorie müsste sich der postoperative Einsatz anti-inflammatorischer, -oxidativer, -apoptotischer Medikamente also positiv auf die Heilung der geschädigten Gewebe auswirken. In Studien haben bisher z. B. Pentoxifyllin (u. a. anti-oxidativ) und L-Glutamin (vermindert Zytokin-Freisetzung, immunmodulatorisch) positive Effekte gezeigt.

Wichtigste Komplikationen, welche die Heilungsaussichten verschlechtern sind Schädigungen des N. vagus (durch starke Dehnung der abomasalen Vagusäste) und Gefäßthrombosen. Da sich einige der genannten Störungen erst nach Tagen manifestieren, sollte eine gute Prognose erst nach 4 Tagen gegeben werden. Zunehmender Leibesumfang, Rückgang der Fresslust und des Kotabsatzes sowie Bradykardie kündigen die Entstehung einer (meist irreversiblen) hinteren funktionellen Stenose an.

Prophylaxe:
Siehe linksseitige Labmagenverlagerung.
 


PubMed
 


Letzte Änderung: 8. 6. 2023


home-page      Inhaltsverzeichnis
© Copyright 2018, Klinik für Wiederkäuer, Ludwig-Maximilians-Universität München