Das Wichtigste in Kürze
Ätiologie und Pathogenese ungeklärt, Zusammenwirken einer genetischen, mechanischen und Fütterungskomponente wird vermutet. Kommt bei verschiedenen Rinderrassen vor, Auftreten meist kurz vor bis etwa 2 Monate nach der Kalbung. Klinische Erscheinungen: Futteraufnahme wechselhaft, Leistungsrückgang, Ketose, schmierige Fäzes, Klingeln und Plätschern links, über der rippengestützten Bauchwand keine Pansenmotorik auskultierbar. Diagnose klinisch. Therapie: konservativ (Wälzen) oder operativ (s. Skript Chirurgie). Verschiedene Operationsmethoden mit oder ohne Eröffnung der Bauchhöhle, gemeinsames Prinzip: Reposition und Fixation des Labmagens. |
Prüfungsstoff
Ätiologie und Pathogenese | Diagnostik |
Epidemiologie | Differentialdiagnosen |
Klinische Erscheinungen | Therapie |
Prophylaxe |
Ätiologie und Pathogenese:
Letztlich noch nicht geklärt. Zusammenwirken verschiedener Faktoren wahrscheinlich (s. Labmagenulzera, treten häufig gemeinsam mit Linksseitiger Labmagenverlagerung auf):
Genetische Komponente: Erblichkeit einer gewissen Prädisposition in verschiedenen Studien nachgewiesen. Außerdem sind großrahmige Kühe häufiger betroffen (größere Bewegungsfreiheit des Labmagens).
Fütterungskomponente: Vermehrtes Vorkommen bei hohem Anteil des Kraftfutters an der Gesamtration. Dieser Faktor bewirkt über die entstehenden größeren Massen an flüchtigen Fettsäuren eine Hypotonie des Labmagens, was zu dessen Aufgasung führt. Gleiches gilt für Ketose/ Lipohypermobilisation (übermäßige Mobilisation von Fettsäuren, aufgrund von Energiemangel/ verminderter Futteraufnahme, s. Ketose). Verminderte Futteraufnahme führt außerdem zu einem insgesamt kleineren Pansen, was bedeutet, dass noch mehr "Platz“ im Abdomen ist. Für ein angemessenes Pansenvolumen (und Schichtung) ist auch die Zusammensetzung des Futters, d.h. v.a. ausreichende Menge und Länge der strukturierten Partikel, relevant. Hypotonie des Labmagens begünstigt außerdem die Entstehung von Labmagenulzera (s. dort). Wenn die Ration zu nass ist und/oder der Anteil effektiver Fasern zu gering ist, soll es ebenfalls zur Steigerung der Inzidenz kommen können. Mechanische Komponente: Der trächtige Uterus drückt den Pansen hoch und erlaubt dem Labmagen nach links zu verrutschen. Nach der Kalbung sinkt der Pansen ab und kann den Labmagen links festhalten. Hypotonie (sowohl Kalium als auch Calcium haben wichtige Funktionen bei der Kontraktion glatter Muskulatur – Mangel begünstigt also Hypotonie des Labmagens) und Gasansammlung können zu einem Teufelskreis führen. Der Labmagen wird dann von der sich vergrößernden Gaskuppel an der linken Bauchwand entlang nach dorsal gezogen.
Schematischer Ablauf bei der Labmagenverlagerung nach links (Transversalschnitt
in Höhe des 11. Brustwirbels, Ansicht von hinten):
gelb = Labmagen, grün = Pansen, weiß = Blättermagen
u. Dünndarmschlingen, braun = Duodenum, rot = oberflächliches
und tiefes Blatt des großen Netzes, kleines Netz. (Animation nur
mit browser sichtbar!)
Epidemiologie:
Die Inzidenz hat in den letzten Dekaden stetig zugenommen und in manchen Herden 5 % überschritten. Mittlerweile ist die linksseitige Labmagenverlagerung eine der wichtigsten und häufigsten Erkrankungen bei Milchkühen. Labmagenverlagerung muss daher bei Kühen kurz vor und bis etwa 2 Monate (meist in den ersten 4-6 Wochen auftretend) nach der Kalbung immer differentialdiagnostisch berücksichtigt werden. Nach neueren epidemiologischen Untersuchungen ist höhere Milchleistung kein Risikofaktor für Labmagenverlagerung, wohl aber Totgeburt und Zwillingsgeburt. Vor allem scheinen Ketose und Metritis Labmagenverlagerung zu begünstigen. Ketose kann aber auch Folge der LMV sein. Auch zu hoher BCS (Gefahr der Lipohypermobilisation), Gebärparese, Nachgeburtsverhaltung, Endometritis und Klauenerkrankungen sind häufige Begleiterkrankungen und positiv mit dem Auftreten von Labmagenverlagerung korreliert. Endotoxine können zu Hypotonie des Labmagens führen. Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter, die Erkrankung kommt aber auch bei Kälbern vor.
Klinische Erscheinungen:
Futteraufnahme wechselhaft, Milchleistung bleibt evtl. hinter der erwarteten zurück, Fäzes dunkel und schmierig bei vermindertem Kotabsatz, therapieresistente Ketose (häufiger Vorbericht bei der Überweisung!). Bei länger bestehender (also nicht festgestellter) Verlagerung wird mitunter keine Ketose mehr festgestellt, was mit Verschlechterung der Prognose verbunden sein soll. Die linke Flanke kann gebläht erscheinen. Bei Perkussions- und Schwingauskulation sind links Klingeln (regelmäßig) und Plätschern (nicht immer) auslösbar. Außerdem meist negative Doppelauskultation, d. h. wenn die Pansenperistaltik vorhanden ist, ist diese in der linken Hungergrube hörbar, nicht aber über der rippengestützten Bauchwand (dort liegt der verlagerte Labmagen zwischen Bauchwand und Pansen). Linksseitige Labmagenverlagerung kann subklinisch bis chronisch verlaufen, demnach ist es möglich, dass die Futteraufnahme bereits seit Längerem vermindert ist und dementsprechend auch Pansenfüllung und -motorik reduziert sind.
Aufgrund von abomasalem Reflux (s. Glossar) erhöhtes Pansenchlorid (s. Laborskript „15 Untersuchung von Pansensaft“). Erhöhte Gehalte an BHB, NEFA (NEB, vgl. Ketose), sowie vermindertes Na, K, Ca.
Video, 30 Sek., 2,2 MB In der Videosequenz werden nacheinander die "Perkussionsauskultation" (erst Schnippen mit dem Zeigefinger, dann zur Verstärkung des Klangs, Perkussion mit der Schere) und die "Schwingauskultation" durchgeführt.
Ton, 17 Sek., 446 kB Perkussionsauskultation über der rippengestützten Bauchwand im dorsalen Drittel. In der Aufnahme ist lautes metallisches Klingeln bei einer Kuh mit linksseitiger Labmagenverlagerung zu hören. Man beachte die wechselnde Tonhöhe, die durch Verstärkung oder Abschwächung der Kompression des Organs durch die Pansenbewegungen zustande kommt.
Ton, 11 Sek., 270 kB Schwingauskultation über der rippengestützten Bauchwand im dorsalen Drittel. In der Aufnahme ist lautes, helles Plätschern bei einer Kuh mit linksseitiger Labmagenverlagerung zu hören.
Kälber und Fresser werden öfters mit dem Vorbericht "Blähen"
vorgestellt.
Diagnostik:
Ist fester Inhalt im Pansen von außen oder von rektal fühlbar, ist die Diagnose bei Vorliegen der oben beschriebenen Symptomatik weitgehend gesichert, so dass weiterführende Diagnostik (Punktion, Laparoskopie) nicht notwendig ist. Denn dann scheidet der Pansen als Quelle von Klingeln und Plätschern aus (vgl. Glossar: Klingeln und Plätschern).
Bei "geblähten" Kälbern sollte versucht werden, Gas per Sonde abzulassen, was bei Vorliegen einer linksseitigen Labmagenverlagerung naturgemäß kaum gelingt. Anschließend können die Tiere gewälzt werden (s.u.), was gleichzeitig eine therapeutische Maßnahme ist. Bei unklaren Fällen kann Ultraschall zur Hilfe genommen werden. Der verlagerte Labmagen ist meist in den letzten drei Interkostalräumen von links zwischen Bauchwand und Pansen darstellbar. Dorsal befindet sich die typische, Reverberationsartefakte verursachende, Gaskuppel. Ventral davon ist homogene, hypoechogene Ingesta, möglicherweise sind auch Falten der Labmagenschleimhaut zu sehen. An der ventralen, linken Wand des Abdomens kommt meist der Pylorus zum Liegen, er zeigt sich im Ultraschall als charakteristische, ringförmige Struktur. Nach Reposition des Labmagens sind in o. g. Region nur Milz und die daran anliegende Pansenwand sichtbar. Der nicht verlagerte Labmagen befindet sich größtenteils rechtsseitig, gute 10 cm kaudal des Sternums (je nach Füllungsgrad des Pansens und Trächtigkeitsstadium).
Differentialdiagnosen:
Pansen ohne festen Inhalt (hinsichtlich Klingeln und Plätschern s. Glossar).
Bei Kälbern: Pansentrinken (vgl. Pansenazidose).
Lässt sich der nach links verlagerte Labmagen nicht "wegwälzen", ist damit zu rechnen, dass er nach "gedeckter" Perforation eines Geschwürs an der linken Bauchseite "verlötet" ist (s. Labmagenulzera: Ulkus Typ 3).
Therapie:
Spontane Heilungen kommen vor.
Konservative Therapie (Wälzen):
Es wird die Tatsache ausgenutzt, dass der Labmagen durch die Gaskuppel stets nach oben gezogen wird. Das Rind wird auf seine rechte Seite gelegt. Vorder- und Hinterbeine werden gefesselt. Das Tier wird (von hintern gesehen im Uhrzeigersinn) langsam auf den Rücken und dann auf die linke Seite gedreht. Dabei wird der Bauch des Tieres von einer kräftigen Person mit den Fäusten in Schwingungen versetzt, was den Labmagern veranlassen soll, sich über median nach rechts ventral zu bewegen (alternativ kann sich die Person auch neben die Kuh setzen und die Bauchwand mit den Füßen in Bewegung versetzen). Eine schematische Darstellung der Verhältnisse kann unter http://www.rinderskript.net/skripten/ChirurgieSkript/Labmagen_Toggle_Suture_Ergaenzung.htm angesehen werden. Es ist aber auch möglich, das Tier auf seine linke Seite abzulegen (z. B. auf einem Klauenwagen) und, ebenfalls durch kräftiges Rütteln der Bauchwand, den Labmagen (gezogen durch die in ihm vorhandene Gasblase) wieder nach rechts gleiten zu lassen. Durch Perkussionsauskultation kann geprüft werden, ob der Labmagen sich in dieser gewünschten Weise zurückverlagert hat. Im negativen Fall kann die Prozedur wiederholt werden. Die konservative Therapie ist in 90 % der Fälle erfolgreich, billiger und oft leichter umsetzbar als die chirurgische Intervention, jedoch treten hierbei auch deutlich häufiger (in 50-70 % der Fälle) Rezidive auf. Bei Kühen, deren Allgemeinzustand aufgrund von Begleiterkrankungen zu stark für einen operativen Eingriff beeinträchtigt ist, kann das Wälzen jedoch schnelle Abhilfe verschaffen.
Operationsmethoden:
Diese werden detailliert im Skript zur Chirurgie dargestellt (s. Skript Chirurgie), hier nachfolgend nur in Kürze:
Ohne Eröffnung der Bauchhöhle:
"Blind stitch" und "Toggle pin suture" (STERNER und GRYMER).
Ausgangspunkt ist bei beiden die Rückenlage des Tieres wie oben beschrieben. Das Tier muss aber zunächst auf die rechte Seite abgelegt werden, damit sich der Labmagen nicht vorzeitig zurückverlagert und entleert.
Zuvor sollte der Verlauf der rechten Eutervene markiert werden, da sie in Rückenlage der Kuh kollabiert. Nach Verbringen des Tieres in Rückenlage muss sich durch Perkussionsauskultation eine ausreichend große Gaskuppel rechts der Medianen lokalisieren lassen. Ziel ist bei beiden Methoden die Fixation des Labmagens an der ventralen Bauchwand. Eine (hoffentlich) umschriebene Peritonitis wird dabei "billigend in Kauf genommen".
"Blind stitch": Mit einer etwa 20 cm langen, gebogenen, scharfen Nadel werden zwei oder drei Knopfhefte parallel durch Bauch- und Labmagenwand gelegt.
"Toggle pin suture": Zwei etwa 4 cm lange Metallknebel mit einem in der Mitte senkrecht zur Längsachse eingeschweißtem Faden werden mit Hilfe eines kleinen Trokars in den Labmagen gebracht, und die Fadenenden miteinander verknotet. Dabei ist darauf zu achten, dass zwei bis drei Finger unter dem Faden Platz haben, weil die Operationsstelle in der Regel anschwillt und dann die Gefahr besteht, dass der Faden einschneidet oder reißt.
Eine ausführliche Darstellung der Methode befindet sich auf der Website von Dr. Sterner: http://www.ldatogglesuture.com
Vorteile der Methoden: schnell und billig, die Futteraufnahme der Patienten steigt rascher wieder an. Erfolgsraten bei Geübten wie bei den anderen Methoden. Nachteile: Gelegentlich Komplikationen (generalisierte Peritonitis, Labmagenfisteln).
Endoskopische Methode nach Janowitz:
Am stehenden Tier wird zunächst von der linken Flanke aus endoskopisch der Labmagen punktiert und entgast, dann wird ein Knebel (toggle) mit einerm langen Faden in den Labmagen eingesetzt. Anschließend wird das Rind in halblinke Rückenlage verbracht und wiederum endoskopisch der Faden in der Bauchhöhle aufgesucht, nach außen gezogen und dort befestigt.
Mit Eröffnung der Bauchhöhle:
Am stehenden Tier von links ("Utrechter Methode"): Mit einem etwa 2 m langen Faden wird der Ansatz des Netzes im Bereich der jetzt dorsal liegenden großen Kurvatur mehrfach fortlaufend durchstochen. Dann wird der Labmagen mit Kanüle und angesetztem Schlauch entgast, worauf er nach unten sinkt. Der Operateur fädelt dann nacheinander die Fäden in eine große scharfe Nadel und durchsticht die ventrale Bauchwand von innen an Stellen, die ihm ein Assistent von außen durch Drücken anzeigt. Die Fadenenden werden verknotet. Vorteile: Große Kurvatur des Labmagens kann zum großen Teil angesehen werden. Verklebungen können gelöst und übernäht werden. Hochträchtigkeit stört wenig.
Am stehenden Tier von rechts (Omentopexie nach DIRKSEN): Der Labmagen wird mit Kanüle und angesetztem Schlauch auf der höchsten Stelle punktiert und soweit wie möglich entgast. Dann wird der Labmagen unter dem Pansen durch nach rechts "geschoben" und der Pylorus am großen Netz in die Op-Wunde gebracht. In der Nähe des Pylorus wird eine Perlonscheibe verankert. Die Fäden werden kaudoventral der Op-Wunde durch die Bauchwand gestochen und mit einem später subkutan zu versenkenden Perlonknopf verknotet. Vorteile: Kann von einem geübten Operateur alleine und unabhängig vom aktuellen Verlagerungszustand des Labmagens durchgeführt werden.
Am liegenden Tier von ventral: Eröffnung der Bauchhöhle, Fixierung des Labmagens durch Einbeziehung in die Naht.
Chirurgische Intervention führt in etwa 90 % der Fälle zum Erfolg, unabhängig von der Methode. Es kommt deutlich seltener zu Rezidiven, der operative Eingriff bietet damit in der Regel das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis. Die Erfahrung und das Können der Chirurg*in sind der wichtigste Faktor, der die Prognose bedingt.
Prophylaxe:
Die multifaktorielle Pathogenese erfordert auch vielseitige Prophylaxe. Da typische Erkrankungen der Frühlaktation die Entstehung von Labmagenverlagerung begünstigen, müssen diese möglichst verhindert, bzw. früh erkannt und behandelt werden. Wichtig sind korrekte Fütterung, vor allem in der Trockenstehperiode und Frühlaktation (vermeide insbesondere Hypokalzämie und -kaliämie, Ketose), aber auch insgesamt möglichst hoher „Kuh-Komfort“ (höheres Wohlbefinden führt zu geringerer Anfälligkeit für Krankheiten). Auslauf für hochträchtige Kühe (Bewegung fördert Motorik des Magen-Darm-Traktes). Automatische Überwachungssysteme, die Pansenaktivität und Bewegung der Tiere registrieren, können helfen metabolische Erkrankungen frühzeitig zu erkennen.
Letzte Änderung: 21. 6. 2023
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