Botulismus
W. Klee u. W. Kehler
Das Wichtigste in Kürze Intoxikation nach oraler Aufnahme von Exotoxinen von Clostridium botulinum. Vermehrte Toxinbildung bei Wachstum von C. botulinum in sich zersetztendem organischen Material (Kadaver!). Epidemiologie: meist erkranken mehrere Tiere gleichzeitig oder kurz nacheinander. Die Wirkung der Toxine besteht in der Zerstörung von Proteinen, welche für die Freisetzung von Acetylcholin notwendig sind: es resultiert eine schlaffe Lähmung der quergestreiften Muskulatur mit Reduktion der Zungen- und Kieferspannung, Wickelkauen, Schlucklähmung, Speicheln, nachfolgend Ausbreitung über die gesamte Skelettmuskulatur. Atypische Verlaufsformen: aufsteigende Lähmung, alleinige Schlucklähmung mit Regurgitieren und so genannte viszerale Form (deren Existenz kontrovers diskutiert wird). Diagnose anhand der klinischen Symptome, Toxinnachweis gelingt nicht immer. Keine spezifische, nur unterstützende Therapie möglich. Existierende Impfstoffe sind in Deutschland nicht zugelassen, ihr Einsatz erfordert Sondergenehmigung. Lebensmitell liefernde Tiere mit klinischen Anzeichen von Krankheiten (also auch von Botulismus) dürfen nicht für den menschlichen Verzehr geschlachtet werden. |
Prüfungsstoff
Ätiologie:
Intoxikation nach oraler Aufnahme eines Exotoxins von Clostridium botulinum,
einem grampositiven Anaerobier. Bisher sind 8 verschiedene Toxintypen
(Botulinus-Neurotoxin, BoNT) identifiziert: A, B, Ca, Cß, D, E, F,
und G, bei klinisch erkrankten Rindern bisher nur B (selten), C und D. Die
genetische Information zur Toxinbildung kann auch von Bakteriophagen stammen. Die Toxine
sind mit die giftigsten bekannten Substanzen. (Ähnliche Toxine können auch von anderen Bakterien gebildet werden.) Der Name Botulismus (botulus Lat.
"Würstchen") kommt daher, dass die Krankheit bei Menschen früher
manchmal ihren Ausgang vom Verzehr von Würsten nahm.
Epidemiologie:
Der Keim ist im Erdreich weit verbreitet und kommt auch im Magen-Darm-Kanal
gesunder Tiere vor. Toxin wird jedoch nur unter bestimmten Umständen, vor allem
bei Wachstum in sich zersetzendem organischen Material gebildet. Meist
erkranken mehrere in gleicher Weise gehaltene Rinder gleichzeitig oder kurz
nacheinander. Neuerkrankungen treten bei einem Ausbruch selten länger als 14 Tage auf, wobei die zuletzt erkrankten Tiere meist mildere Verläufe zeigen. Mitunter werden aber ganze Herden ausgelöscht. Besonders die Düngung von Weiden mit Festmist aus Hähnchenmästereien hat zu solchen verheerenden Ausbrüchen geführt.
Bei menschlichen Säuglingen und Kleinkindern bis zum Alter von etwa 12 Monaten sowie sehr selten bei älteren Menschen mit Störungen im Bereich des Darmtraktes kommt eine viszerale Form des Botulismus vor. Früher wurde vor allem Hong als Quelle des Kleinkinder-Botulismus verdächtigt. Neuere Untersuchungen zeigen aber dass die Quelle oft nicht gefunden werden kann (ProMED Digest, Vol 74, Issue 18).
Pathogenese:
Die Protoxine werden mit Teilen von Kadavern oder verfaulenden Pflanzenteilen
aufgenommen und von endogenen Proteasen in die aktive Form überführt. Nach 24
bis 48 h treten klinische Erscheinungen auf. Die Toxine sind
Zink-Endopeptidasen und zerstören Proteine, welche für die Freisetzung von
Acetylcholin notwendig sind, verhindern also die Übertragung an allen
peripheren cholinergen Strukturen und führen so zu einer schlaffen Lähmung
quergestreifter Muskulatur. Mehrere kleine Dosen sind schädlicher als eine
gleiche Dosis bei einmaliger Aufnahme, was den Nachweis erschwert.
Klinische Erscheinungen:
Die vorherrschende Symptomatik kann bei verschiedenen Ausbrüchen
unterschiedlich sein, ist aber innerhalb eines Ausbruchs meist einheitlich
(unterschiedliche Toxintypen?). Manchmal plötzliche Todesfälle. Sonst bei
"typischem" Verlauf absteigende Lähmung, welche im Kopfbereich
beginnt (mehr oder weniger starke Herabsetzung der Zungen- und Kieferspannung,
Wickelkauen Schlucklähmung, Speicheln), aber dann rasch die gesamte
quergestreifte Muskulatur erfasst (zunehmende Schwäche, Zusammenklappen,
Herabsetzung oder völliges Fehlen der Schwanzspannung). Auch bereits
festliegende Rinder versuchen manchmal noch, zu fressen oder wiederzukauen.
Dies ist differentialdiagnostisch insofern von Bedeutung, als Rinder, welche
aufgrund anderer schwerwiegender Erkrankungen festliegen, meist nicht mehr
fressen. In Brustlage liegende Tiere schlagen manchmal den Kopf zur Seite ein
wie bei Gebärparese („autauskultatorische“ Haltung“).
"Atypische" Verlaufsform: Aufsteigende Lähmung bei lange erhaltener
Fähigkeit zur Futteraufnahme.
Weitere Verlaufsform: Schlucklähmung mit Regurgitieren aufgenommener
Futterteile oder von Wasser durch Maul und Nase (Typ B, beschrieben nach
Aufnahme von Biertreber).
Eine "viszerale" Form wurde von Böhnel et al. (2001) beschrieben. Sie
soll durch Indigestion (abwechselnd Verstopfung und Durchfall), chronische
Klauenrehe, Venenstauung, Ödeme, aufgezogenen Bauch, Abmagerung und Apathie
gekennzeichnet sein und durch längere Aufnahme geringer Toxindosen
oder durch so genannte Toxikoinfektion (Aufnahme von Sporen, die im Gastrointestinaltrakt auskeimen und Toxine produzieren) hervorgerufen werden. In einer groß angelegten Studie konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen bestimmten chonischen Erkrankungen und Erhöhung der Verlustraten bei Rindern einerseits und der Anwesenheit von BoNT andererseits nachgewiesen werden (Seyboldt et al, 2015).
Video, 10 Sek., 1700 kB Im Video sind deutlich der schlaffe Schwanz und die Lähmungserscheinungen in der Hinterhand erkennbar.
Video, 7 Sek., 526 kB Im Video werden "vermehrtes Speicheln" und hochgradige Herabsetzung des Zungentonus gezeigt.
Video,
21 Sek., 3393 kB Im Video sind autauskultatorische Haltung bei
einem festliegenden Rind, das Herausnehmen eines "Wickels" aus der
Maulhöhle und die Lähmung der Zungen- und der Schwanzmuskulatur zu sehen.
Diagnostik:
Schlaffe Lähmung der gesamten quergestreiften Muskulatur kommt bei keiner
anderen Rinderkrankheit vor. Pathologisch-anatomisch gibt es keine spezifischen
Veränderungen. Bei der Sektion fällt mitunter auf, dass der Tierkörper rasch in
Fäulnis übergeht. Toxinnachweis aus Pansensaft, Blut oder Leber kann versucht
werden. Es besteht dabei aber das Problem, dass die Sensitivität der bisher
verfügbaren Methoden nicht zum Nachweis niedriger, aber für Rinder immer noch
toxischer Konzentrationen ausreicht. Negative Ergebnisse schließen also
Botulismus nicht absolut sicher aus. Mit PCR können die für die Toxinbildung kodierenden Gene nachgewiesen werden. Ein positiver Befund ist jedoch nicht für die Anwesenheit von BoNT beweisend. Vorher Rücksprache mit der Untersuchungsstelle.
Differentialdiagnosen:
Gebärparese, akute Pansenazidose
Therapie:
(unterstützend, keine spezifische Therapie bekannt)
Bei Menschen kann Botulinus-Immunglobulin (BIG) angewandt werden.
Prognose:
Bei bereits festliegenden Tieren schlecht.
Prophylaxe:
Impfung ist grundsätzlich möglich. Es existieren Impfstoffe, die aber bisher in
D nicht zugelassen sind, also nur in Einzelfällen nach besonderer Genehmigung
eingesetzt werden dürfen.
Nach einem Ausbruch kann sich das Problem ergeben, dass noch ein großes Volumen einer verdächtigen Silage übrig ist, dessen "unschädliche Beseitigung" (Stöber, 2002) weder organisatorisch noch ökonomisch trivial ist. Hier bietet sich als Lösung an, die Herde (nach Einholung der behördlichen Genehmigung) zu impfen und die Silage erst nach der Grundimmunisierung zunächst an jüngere Rinder zu verfüttern.
§:
VO (EG) 854/2004 (Anh. I Abschn. II Kap. III Nr. 4) „Tiere, die eine Krankheit oder einen Zustand aufweisen, der durch Kontakt oder Verzehr von Fleisch auf den Menschen oder andere Tiere übertragen werden kann, und allgemein Tiere, die klinische Anzeichen einer systemischen Erkrankung oder von Auszehrung (Kachexie) aufweisen, dürfen nicht für den menschlichen Verzehr geschlachtet werden. Diese Tiere müssen getrennt getötet werden, und zwar so, dass andere Tiere oder Schlachtkörper nicht kontaminiert werden können, und sie sind für genussuntauglich zu erklären.“
In einigen Bundesländern gewähren die
Tierseuchenkassen Beihilfen, obwohl es sich bei Botulismus nicht um eine
Tierseuche handelt.
Literatur:
Stöber, M. (2002) Botulismus. In Dirksen, G., H.-D. Gründer, M. Stöber (Hrsg.) Innere Medizin und Chirurgie des Rindes.
Seyboldt Chr. et al. (2015) Http://dx.doi.org/10.106/j.vetmic.2015.03.012
Letzte Änderung: 17.11.2019
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