Lokalanästhesie in der Flanke
M. Feist, M. Metzner

Das Wichtigste in Kürze
Operative Eingriffe in der Flanke des Rindes werden in der Praxis häufig durchgeführt (Fremdkörperoperation, Kaiserschnitt, Labmagenoperationen, Operation bei Ileuszuständen). Diese Operationen erfolgen beim adulten Rind in der Regel am stehenden Tier. Durch den Einsatz einer Lokalanästhesie soll eine weitgehend vollständige Schmerzauschaltung für die Dauer des Eingriffs erreicht werden, dafür müssen die Nerven, welche die Flankenregion versorgen, anästhesiert werden.
Bei den Leitungsanästhesien (proximale und distale Paravertebralanästhesie) sind der 13. Thorakalnerv und die ersten beiden Lendennerven, beim Kaiserschnitt auch der 3. Lendennerv, zu betäuben.
Bei den Infiltrationsanästhesien (Schnittlinieninfiltration: das Anästhetikum wird dorthin gespritzt, wo man beabsichtigt zu schneiden) und "umgekehrter L-Block/umgekehrte 7-Block" (das Anästhetikum betäubt die in das Operationsgebiet hineinziehenden Nervenäste) werden mehrere Schichten der Bauchwand mit dem Anästhetikum infiltriert. Procainhydrochlorid (2%) ist derzeit das einzige in Deutschland für das Rind zugelassene Lokalanästhetikum. Es besitzt geringe Toxizität und hat eine kurze Halbwertzeit. Die Wartezeit für Lebensmittel liefernde Tiere beläuft sich derzeit auf einen Tag. Procainhydrochlorid kann sowohl zur Leitungs- als auch zur Infiltrationsanästhesie eingesetzt werden. Durch Verwendung eines Anästhetikums mit 'Sperrkörper' (Epinephrin) kann die Wirkung verlängert werden, und Blutungen treten weniger stark auf.

1. Vorbereitung

Chirurgische Vorbereitung der Flanke (Schur, Waschen mit Wasser, Seife und Bürste, Desinfektion). Zur Vorbereitung und Durchführung der Anästhesie sollte der Kopf des Tieres in allen Fällen gut fixiert sein. Es ist hilfreich das Tier in einen Operations- oder Untersuchungsstand zu stellen. Eine leichte Sedierung des Patienten mit Xylazin (außer bei der Sectio caesarea) vor der Lokalanästhesie ist zu empfehlen. In allen Fällen ist die Gabe eine Schmerzmittels (NSAID) notwendig.

2. Durchführung

Proximale Paravertebralanästhesie
Distale Paravertebralanästhesie
Schnittlinieninfiltration
Umgekehrter L- / umgekehrte 7 - Block

2.1 Proximale Paravertebralanästhesie

Bei der proximalen paravertebralen Anästhesie handelt es sich um eine Leitungsanästhesie. Sie dient der Blockierung der dorsalen und ventralen Äste des 13. Thorakalnervs und der ersten beiden Lendennerven (ggf. auch des 3. Lendennervs beim Kaiserschnitt). Der zum Wirbel gehörende Nerv tritt jeweils kaudal des Wirbels aus. Als Instrumente werden Kanülen von 10 cm Länge, bei stark bemuskelten oder adipösen Tieren auch 12-15 cm Länge, 18 Gauge (1,2 mm) und eine 20 ml Einwegspritze benötigt. Außerdem werden 60 ml bei drei Applikationsstellen oder 80 ml bei vier Applikationsstellen einer 2%igen Procainhydrochloridlösung mit oder ohne Sperrkörper benötigt.

Auf der Mittellinie der Lendenregion findet man die tastbaren Dornfortsätze der Lendenwirbelkörper (LW).

Proximale Paravertebralanästhesie

 

Weitere Ortungspunkte stellen die Enden der Querfortsätze der Lendenwirbelkörper dar.

Der kaudalste tastbare Querfortsatz vor dem Hüfthöcker gehört zum 5. LW.

Von hier wird kranialwärts bis zum dritten Lendenwirbelkörperquerfortsatz gezählt.

 

Proximale Paravertebralanästhesie

 

Man palpiert hierfür das kranio-laterale Ende des Querfortsatzes des 3. LW, von dort wird eine gedachte transversale Linie zur Medianen gezogen.

 

 

Proximale Paravertebralanästhesie

 

Von der Medianlinie des Rückens aus, ca. 5 cm nach lateral auf dieser Linie, befindet sich die erste Einstichstelle (kranial des Querfortsatzes des 3. LW). An der Applikationsstelle befindet sich der Austritt des 2. Lendennervs aus dem Wirbelkanal. .

 

 

Proximale Paravertebralanästhesie Proximale Paravertebralanästhesie

 

Zur Anästhesierung wird der M. longissimus dorsi nahezu senkrecht durchstochen, ebenso das feste Lig. intertransversarium. Sollte man auf den Wirbelquerfortsatz treffen, so ist die Kanüle ein wenig zurückzuziehen und etwas weiter nach kranial geneigt vorzustechen.

In ca. 5-7 cm Tiefe werden kegelförmig auf einem Diameter von ca. 1 cm 15 ml Procain deponiert.

Wird die Peritonealhöhle dabei versehentlich angestochen (Aspirationsversuch oder Tropfentest), dann muss vor der Injektion die Kanüle 1-1,5 cm zurückgezogen werden.

 

 

Proximale Paravertebralanästhesie

 

 

Tropfentest: Auf den Konus der Kanüle wird ein Tropfen Lokalanästhetikum aufgebracht. Im Bild ist dieser Tropfen sichtbar. Wird er nicht durch den intraabdominalen Unterdruck eingesaugt, ist sichergestellt, dass die Spitze der Kanüle nicht intraabdominal liegt.

Die restlichen 5 ml werden unter Zurückziehen der Kanüle oberhalb des Ligamentums intertransversarium verteilt

 

Danach wird genauso beim 2. Lendenwirbelkörper vorgegangen.

 

Proximale Paravertebralanästhesie

 

Der 1. Lendenwirbelkörperquerfortsatz ist schlecht tastbar, deshalb misst man zur Orientierung mit zwei Fingern den Abstand zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbelkörperquerfortsatz und legt die gemessene Distanz vor dem 2. Lendenwirbelkörperquerfortsatz nach kranial an.

Diese Stelle dient nun als Orientierungspunkt für den 1. LW (Austrittsort des 13. Thorakalnervs). Hier wird ebenfalls, wie oben beschrieben, eine Depot gesetzt.

 

 

Der Eintritt der Analgesie ist oftmals von einer Skoliose in der anästhesierten Flankenregion (mit der Konvexität zur anästhesierten Seite) begleitet. Mit einem vollständigen Wirkungseintritt ist nach 10-15 Minuten zu rechnen, die Dauer der Anästhesie beträgt ca. 90 Minuten. Durch die paravertebrale Anästhesie an 3 (oder 4) Stellen wird ein großer Bereich der Flanke anästhesiert. Es ist besonders hervorzuheben, dass mit dieser Methode auch eine Unempfindlichkeit des Peritoneums erreicht wird

2.2 Distale Paravertebralanästhesie

Unter Verwendung der distalen paravertebralen Anästhesie lässt sich ebenfalls eine effektive Schmerzausschaltung in der Flanke erreichen. Dabei werden, wie bei der proximalen Technik, die dorsalen und die ventralen Äste des 13. Thorakalnervs und der ersten beiden oder der ersten drei Lendennerven in Form einer Leitungsanästhesie blockiert.

Es wird eine handelsübliche 5 cm lange, 17 Gauge (1,4mm), Kanüle und 90 ml (ggf. mit Riegel 130 ml) Procainhydrochlorid benötigt.

Das Auffinden der Lendenwirbelquerfortsätze erfolgt wie bei der proximalen Paravertebralanästhesie. Vom 1. bis 3. LW werden parallel oberhalb und unterhalb des Querfortsatzes jeweils 15 ml Procainhydrochlorid 2%ig fächerförmig verteilt (Kanüle wird dabei vollständig eingestochen).

 

Distale Paravertebralanästhesie Distale Paravertebralanästhesie

Fotos: M. Feist

Da die Äste des 2. Lendennerven (anders als die des 13. Thorakalnervs und des 1. Lendennervs) weit nach kaudal reichen und nach kaudoventral gerichtet sind, kann optional die Anästhesie am 3. Lendenwirbelquerfortsatz ausgelassen, und dafür auf Höhe des vierten Lendenwirbelkörperquerfortsatzes der dort verlaufenden zweite Lendennerv blockiert werden.

Belässt man es bei der Blockierung auf Höhe der Querfortsätze, so kann eine zusätzliche Infiltrationsanästhesie des ventralen Wundwinkels intraoperativ geboten sein, weil zum Teil Äste des 12. Thorakalnervs das Wundgebiet erreichen können. Eine Option, auch diesen Verlauf zu blockieren, ist ein Infiltrationsriegel mit 30-40 ml Procainhydrochlorid 2%ig mit einer 10-12 cm langen und 18 Gauge (1,2mm) Kanüle. Diesen Block bringt man subkutan und in die einzelnen Muskelschichten parallel zur letzten Rippe vom Querfortsatz des ersten Lendenwirbelkörpers bis distalwärts zur Rippenknorpelhöhe an.

Distale Paravertebralanästhesie Distale Paravertebralanästhesie Distale Paravertebralanästhesie

 

 

Fotos: M. Feist

Die Unempfindlichkeit des Peritoneums wird ebenfalls erreicht, weil auch bei dieser Methode der zweite Lendennerv, der sensible Äste an das Peritoneum abgibt, desensibilisiert wird. Allerdings wird eine größeres Volumen des Anästhetikums verwendet, aber wie bei der proximalen Technik bringt man keine Fremdsubstanz in die Inzisionslinie ein. Beide Techniken eignen sich insbesondere für den Fall einer erforderlichen Relaparotomie. Die Dauer der Anästhesie hält in der Regel für ca. 90 Minuten an.

2.3 Schnittlinieninfiltration

Je nach Operationsgebiet und Eingriff werden Subkutis und tiefere Schichten mit einem 2%igen Lokalanästhetikum (z.B.: Procain) infiltriert. Das Volumen richtet sich nach der Dicke der zu infiltrierenden Gewebsschichten. Für eine ca. 25 cm lange Laparotomiewunde bei einer Kuh werden ca. 150 - 200 ml benötigt.

Es wird versucht, von einem Einstich aus alle zu infiltrierenden Gewebe zu erreichen. Zunächst wird mit einer weitlumigen Kanüle ein Loch vorgestochen (nicht mit der langen Kanüle, diese würde sich verbiegen). Dann reicht es in der Regel bei einer Laparotomiewunde, von diesem Einstich aus durch fächerförmige, sowohl sagittale als auch transversale Ausrichtung der Stichrichtungen mit einer 14 cm langen 'Kanüle zur Infiltrationsanästhesie' (Durchmesser: 1,8 mm) erst subkutane und dann tiefere Gewebsschichten zu infiltrieren. Dabei wird die lange Kanüle erst vollständig eingestochen und dann das Anästhetikum kontinuierlich beim Zurückziehen der Kanüle appliziert (s.u. Bilder zur Durchführung). Alternativ kann die Durchführung auch mit Kanülen geringerer Länge, dann allerdings durch wiederholtes Einstechen, erfolgen.

Der Wirkungseintritt ist nach ca. 10 Minuten voll ausgebildet und hält ca. 90 Minuten an. Die Hautsensibilität soll vor Beginn des Eingriffs mit einer Kanülenspitze überprüft werden. Sollte sich während des Eingriffs herausstellen, dass tiefere Schichten nicht ausreichend betäubt sind, so müssen diese Gebiete nachinfiltriert und die Fortsetzung des Eingriffs für die übliche Wartezeit unterbrochen werden.

Es können auch Lokalanästhetika mit so genannten. 'Sperrkörpern' (Adrenalin oder Noradrenalin) verwendet werden. Diese führen zu Vasokonstriktion und damit zu Verlängerung der Anästhesiewirkung, sowie einer Verminderung von Blutungen während des Eingriffs. (Allerdings können Blutungen nach Abklingen der Wirkung auftreten.) Sie dürfen aber nicht in funktionale Endarterien appliziert werden, weil sie hier zu Gewebsnekrose führen können, da die Blutversorgung über kollaterale Arterien fehlt.

Schnittlinienanästhesie

Vorstechen der Haut mit einer weitlumigen Kanüle (z.B. Pilzkanüle)

 

 

Schnittlinienanästhesie

Einführen einer langen Kanüle durch das zuvor gestochene Loch

 

 

Schnittlinienanästhesie

 

Vorschieben der Kanüle im subkutanen Bindegewebe bis über den Punkt des geplanten dorsal gelegenen Wundwinkels hinaus.

 

 

Schnittlinienanästhesie

 

Beim Zurückziehen der Kanüle Applikation des Lokalanästhetikums.

 

 

Schnittlinienanästhesie

Umlegen der Kanüle in Richtung ventral und Vorschieben der Kanüle im subkutanen Bindegewebe bis über den Punkt des geplanten ventral gelegenen Wundwinkels hinaus.

 

 

Schnittlinienanästhesie

Beim Zurückziehen der Kanüle Applikation des Lokalanästhetikums.

Ggf. kann nun auch noch die Stelle für einen zusätzlichen Hautschnitt (z.B. für das Versenken des Ankerknopfes bei der Omentopexie nach DIRKSEN) durchgeführt werden.

Fotos: M. Metzner

2.4 Umgekehrter L- / umgekehrte 7 - Block

Die Infiltration erfolgt entlang einer ca. 4 cm unterhalb der Querfortsätze und parallel zur Lendenwirbelsäule vom vierten Lendenwirbelquerfortsatz bis zur letzten Rippe verlaufenden Linie (kurzer Schenkel des „L“) und einer zweiten Linie, parallel und ca. 3 cm kaudal zur letzten Rippe verlaufend (langer Schenkel des „L“). Auf diese Weise kommt der Winkel, des auf dem Kopf stehenden "L", in der Ecke zwischen Querfortsatz und letztem Rippenbogen zu liegen und ist vom eigentlich geplanten Hautschnitt etwas entfernt.

Die Infiltration erfolgt subkutan und in die einzelnen Muskelschichten. Das Gesamtvolumen an Lokalanästhetikums beträgt ca. 100 ml.

L-Block L-Block

Schemata: M. Feist