Das Wichtigste in Kürze
Als Epiduralanästhesie wird die Applikation eines
Lokalanästhetikums in den Epiduralspalt bezeichnet. Je nach Applikationsort
und Volumen des verwendeten Anästhetikums, werden die von sensorischen
Nerven versorgten Gebiete betäubt, bei motorischen Nerven kommt es zu
muskulären Ausfällen (bei Xylazin nur geringfügig). Die am häufigsten angewendete Epiduralanästhesie
ist die kleine Sakral-Anästhesie. Neben Procain 2% (und Lidocain 2%, z.Zt.
in D nur beim Pferd zugelassen), kann auch Xylazin 2% zur Anwendung kommen.
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Als Epiduralanästhesie wird die Applikation eines Lokalanästhetikums in den Epiduralspalt (Epiduralraum), d.h. zwischen Dura mater externa (Endost) und Dura mater interna bezeichnet. Sie führt zur Betäubung der Spinalnerven an deren Austrittsstelle aus dem Wirbelkanal oder der Cauda equina und betrifft somit sowohl sensorische als auch motorische Nervenbahnen.
Je nach Injektionsort (sakrokokzygeal ("Sakral-Anästhesie"), lumbosakral ("Lumbal-Anästhesie") oder unilateral (paramedian) thorakolumbal ("Segmental-Anästhesie") und Applikationsvolumen werden unterschiedlich Bezirke unempfindlich gemacht (und motorische gelähmt).
Beim Rind reicht das Rückenmark etwa bis zum Übergang
zwischen letztem Lendenwirbel und Kreuzbein. Es wird hier von Pia mater
und Arachnoidea umgeben, zwischen denen sich der Liquor enthaltende
Subarachnoidealraum befindet. Bei Lumbal- und Segmental-Anästhesie kann es
deshalb versehentlich zur Punktion dieses Raumes kommen (bei Aspiration kann
Liquor gewonnen werden). Das Anästhetikum würde deshalb mit dem Liquor verteilt
werden und könnte zu unerwarteten Effekten (z.B.: Querschnittslähmung) führen.
Außerdem kann es zu Verletzungen des Rückenmarks kommen. Bei der Sakral-Anästhesie
hingegen (gilt als Methode der Wahl) kann der Liquorraum nicht punktiert werden
(hier wird die Cauda equina nur noch von Dura mater externa und
interna umgeben). Durch Applikation eines entsprechend großen Volumens kann die Wirkung
einer Sakral-Anästhesie bis zum Lendenbereich vorgetrieben werden.
Zu beachten ist, dass die Ventraläste der letzten vier Lenden- und ersten vier
Kreuznerven die Hintergliedmaßen versorgen. Je nach appliziertem Volumen und
Injektionsort kann deshalb die Standfestigkeit beeinträchtigt sein. Ohne
Beeinträchtigung der Standfestigkeit spricht man deshalb von "kleiner" (hinterer
oder kaudaler) mit Beeinträchtigung der Standfestigkeit von "großer" (vorderer
oder kranialer) Epiduralanästhesie.
Kleine Sakral-Anästhesie (am stehenden Tier): Eingriffe im Bereich von Schwanz, After, Mastdarm, Damm, Scheide und Harnblase.
Große Sakral-Anästhesie (mit Niedergehen des Tieres): Eingriffe an den Hintergliedmaßen, Euter, männlichen Geschlechtsorganen, Fetotomie, Laparotomie. Bei dieser Anästhesieform ist zuvor für eine möglichst weiche Lagerung und geeignete Fixiermöglichkeiten nach dem Niedergehen zu sorgen. Auch muss der Patient bis zur Wiedererlangung seiner Standfestigkeit unter Beobachtung bleiben, und die Hinterbeine sollten vergrittet werden (Verletzungsgefahr).
Die Injektion wird am stehenden oder in Brustlage verbrachten Tier durchgeführt (die Verteilung im Körper erfolgt auch entlang dem Gradienten des spezifischen Gewichts).
Vor der Applikation ist der gewählte Bereich zu scheren, zu waschen und zu desinfizieren, damit möglichst keimfrei appliziert wird.
Bei der Sakral-Anästhesie wird durch pumpenschwengelähnliche Auf- und Abbewegung des Schwanzes die Delle mit der höchsten Beweglichkeit zwischen Kreuzbein und erstem oder erstem und zweiten Schwanzwirbel ertastet. Die Kanüle (je nach Größe des Tiere 18 Gauge / 40 mm bis 12 Gauge / 90 mm) wird im Winkel von ca. 45° zur Wirbelsäule in der Medianen eingestochen.
Fotos: M. Metzner
Bei der Lumbal-Anästhesie wird die median liegende Delle zwischen Dornfortsatz des letzten Lendenwirbels und Kreuzbein aufgesucht. Man findet sie ca. 3 - 5 cm kaudal einer Verbindungslinie zwischen den prominenten Anteilen der beiden Hüfthöcker. Der Einstich erfolgt senkrecht zur Wirbelsäule, und es wird eine Kanüle (2,0 - 2,5 mm Durchmesser / 80 - 140 mm lang) mit eingeschliffenem Mandrin verwendet (verhindert, dass ausgestanzte Gewebebrocken versehentlich in den Liquorraum gelangen können).
Fotos: M. Metzner
In manchen Fällen soll bei richtigem Sitz der Kanüle ein Einströmen von Luft
hörbar sein (oder man prüft durch Platzieren eines Tropfens Lokalanästhetikum auf dem Konus der
Kanüle, der ggf. eingesaugt wird). Vor der Injektion ist durch Aspiration zu prüfen, ob versehentlich ein
Blutgefäß (bei der Lumbal-Anästhesie ev. auch Liquor, falls der Liquorraum) punktiert wurde
(ggf. Lage der Kanüle verändern). Zur Vermeidung eines Schocks, soll die Injektion langsam erfolgen (bei
größeren Volumina körperwarm). Bei
richtigem Sitz der Kanüle kann das Anästhetikum ganz leichtgängig (ohne größeren
Druck auf den Spritzenstempel) appliziert werden. Andernfalls kann es sein, dass
die Kanülenspitze in einen Wirbelkörper, eine Zwischenwirbelscheibe oder nicht
tief genug eingestochen wurde (ggf. Lage verändern). Nach erfolgreicher
Sakral-Anästhesie verschwindet der Schwanztonus nach ca. 30 Sekunden.
Bei großer Sakral-Anästhesie sollte der Patient im kranialen Bereich etwas
angehoben gelagert werden.
Ausdehnung und Dauer der Anästhesie werden maßgeblich vom verwendeten Anästhetikum und vom Volumen bzw. der verwendeten Konzentration beeinflusst. Bei den Wiederkäuern (soweit es sich um Lebensmittel liefernde Tierarten handelt) wird die Auswahl der Präparate durch das Arzneimittelgesetz reglementiert. Auf Anästhetika mit Sperrkörpern wird verzichtet, weil sonst dauerhafte Schädigungen des Rückenmarks oder der Nerven auftreten können. Auch kontinuierlich fortgeführte Epiduralanästhesien (über lumbalen Verweilkatheter) sind möglich, in der Nutztierpraxis aber nicht gebräuchlich.
Neben Procainhydrochlorid 2% (Procain) und Lidocainhydrochlorid 2% (Lidocain, allerdings zur Zeit nur beim Pferd zugelassen) können auch Xylazinhydrochlorid 2% (Xylazin), Medetomidin (beides potente alpha-2-Adrenozeptor-Agonisten) und Ketamin (NMDA-Rezeptor-Antagonist) zur Anwendung kommen. Xylazin wirkt dabei offensichtlich vor allem auf alpha-2-Adrenozeptoren sensibler Nervenbahnen (dorsales Horn), weniger auf motorische Nerven (ventrales Horn) des Rückenmarks.
Dosierungsbeispiele für die Sakral-Anästhesie von Rindern:
Kleine Sakral-Anästhesie: Procain/Lidocain 2%, 1 ml/100 kg Lebendmasse (LM),
Anästhesie voll ausgeprägt nach ca. 10 Minuten, Dauer: 30 - 150 Minuten.
Große Sakral-Anästhesie: Procain/Lidocain 2%, 10 ml/100 kg LM.
Dosierungsbeispiele für die Sakral-Anästhesie von Kälbern:
Große Sakral-Anästhesie (Nabelbruch-OP, Laparotomie):
-Procain 2%, 0,4 ml/kg LM, Anästhesie ausgeprägt nach ca.10 - 15 Minuten,
Anästhesiedauer: ca. 70 - 90 Minuten.
-Xylazin 2%, 0,1 mg/kg LM, verdünnt mit NaCl 0,9% auf 0,4 ml/kg LM, Anästhesie
ausgeprägt nach ca.10 - 15 Minuten, Anästhesiedauer: ca. 95 - 120 Minuten.
-Xylazin 2%, 0,1 mg/kg LM verdünnt mit Procain 2% auf 0,5 - 0,6 ml/kg LM,
Anästhesie ausgeprägt nach ca.10 - 15 Minuten, Dauer: Anästhesiedauer: ca. 90
Minuten.
Dosierungsbeispiele für die Sakral-Anästhesie von Schafen:
Kleine-Sakral-Anästhesie: Procain/Lidocain 2%, 0,2 ml/10 kg LM (z.B.:
Schwanzamputation).
Für die Lumbal-Anästhesie einer Kuh werden ca. 20 - 30 ml Procain 2% appliziert.
Als Sonderform der Epiduralanästhesie kann die sogenannte 'Alkoholanästhesie' gelten, die bei Kälbern mit Proctitis eingesetzt wird, damit dauerhaft das Pressen auf Kot (ggf. mit Rectumprolaps) verhindert wird. Hierzu werden zwischen 1. und 2. Schwanzwirbel 98%iger Ethanol injiziert (2,3 ml für ein ca. 60 kg wiegendes Kalb, ca. 3 ml für ein 80 - 100 kg wiegendes Kalb). Dem Tier sollten sicherheitshalber die Hinterbeine vergrittet werden, bis sicher ist, dass die Standfestigkeit nicht beeinträchtigt wurde. Der Tierbesitzer ist zuvor darauf hinzuweisen, dass die Motorik dauerhaft gehemmt sein kann und die Tiere nur noch passiv und ohne Anheben des Schwanzes Kot absetzen können.