7.4 Harnstoff
Physiologie und Pathophysiologie
Harnstoff, Summenformel CH4N2O, Molmasse 60,06, ist eines der Endprodukte des Stickstoffstoffwechsels und das in der Leber synthetisierte Entgiftungsprodukt von Ammoniak. Harnstoff verteilt sich im gesamten Körperwasser und wird vor allem mit dem Harn, aber auch mit dem Speichel und der Milch ausgeschieden. Renal wird er vollständig filtriert, diffundiert aber zum Teil wieder aus dem Primärharn ins Niereninterstitium, was für die Harnkonzentrierung von Bedeutung ist. Die Rückdiffusionsquote ist umgekehrt proportional zur Harnflussrate. Das bedeutet umgekehrt, dass die Harnstoff-Clearance (im Gegensatz zur Kreatinin-Clearance, s.u.) dem Harnfluss (bis zu einer gewissen Obergrenze) proportional ist. Die Konzentration im Extrazellulärraum wird von der Anflutungsrate, dem Verteilungsraum, der glomerulären Filtrationsrate und dem Harnfluss bestimmt.
Da sich Harnstoff, wie oben erwähnt, im ganzen Körperwasser verteilt, erscheint er auch in derselben Konzentration in der Milch. Dies macht man sich in der Fütterungsberatung zunutze. Ein großer Anteil des Eiweißes in der Ration von Kühen wird von den Pansenmikroben bis zum Ammoniak abgebaut und danach, wenn genügend Energie vorhanden ist, wieder zu Mikrobeneiweiß aufgebaut. Das bedeutet, dass bei optimalem Verhältnis zwischen Eiweiß und Energie in der Ration die Resorption von Ammoniak, der in der Leber unter Energieverbrauch zu Harnstoff entgiftet werden muss, minimal ist. Umgekehrt fällt mehr Harnstoff an, wenn dieses Verhältnis zuungunsten von Energie verschoben ist. Die Bestimmung von Harnstoffgehalt der Milch wird von den meisten Milchlabors routinemäßig durchgeführt und das Ergebnis (unsinnigerweise meist) in ppm angegeben. Der Normalbereich wird mit 150 - 300 ppm angegeben (2,5 - 5 mmol/L).
Siehe auch Abschnitt 7.5 (Azotämie) und Abschnitt 15 (Informationen aus der Milch).
Indikationen zur Bestimmung
Milch: Beurteilung der Fütterung (s.o.)
Blut: Beurteilung der Exsikkose, Verlaufskontrolle bei Erkrankungen der Niere oder nach Behebung einer Harnabflussstörung
Bestimmungsmethoden
Fotometrisch (enzymatisch)
Referenzbereich
≤ 5,5 mmol/L
Im amerikanischen Schrifttum wird statt der Konzentration von Harnstoff unsinnigerweise der Parameter Blood Urea Nitrogen (Harnstoffstickstoff; früher wurde auch in der deutschsprachigen Literatur vereinzelt der Begriff "Reststickstiff" verwendet) meist in der Einheit mg/dL verwendet. Mit dem Faktor 0,357 kann BUN (mg/dL) in Harnstoff (mmol/L) umgerechnet werden. Beispiel: 14 mg/dL BUN = 5 mmol/l Harnstoff. (14 mg/dL = 140 mg/L. Harnstoff enthält zwei Atome N mit der Atommasse 14. 140: 28 = 5) Wird BUN dagegen in mmol/L angegeben, bleibt die Zahl gleich. 3 mmol/L BUN = 3 mmol/L Harnstoff.
Interpretation von Abweichungen
Die weitaus wichtigste Ursache für klinisch relevante Erhöhung der Harnstoff-Konzentration ist Dehydratation. Anhaltende Erhöhung der Harnstoffkonzentration im Blut trotz Behebung einer ggfs. bestehenden Dehydratation deutet auf Nierenschaden hin.
Letzte Änderung: 31. 08. 2015