13 Untersuchung von Harn
13.1 Das pH des Harns erwachsener Rinder ist recht variabel, liegt aber meist im alkalischen Bereich. Es gibt keine sicheren Hinweise auf den Zustand des systemischen Säuren-Basen-Haushaltes.
13.2 Die Farbe hängt wie bei anderen Spezies von der Dichte ab und ist bei gesunden Kälbern sehr blass, bei Kühen meist stroh- bis goldgelb. Klinisch relevante Farbabweichung ist vor allem die Rotverfärbung (Differenzierung s. unten).
13.3 Grobsinnlich erkennbare Beimengungen sind immer unphysiologisch. Der Harn gesunder Rinder ist (ohne nachträgliche Verschmutzung) klar, also völlig transparent.
Grobsinnlich erkennbare Beimengungen können eindeutige Anzeichen einer Harnwegsinfektion sein (Eiter, Fibrin), können aber auch aus dem (weiblichen) Genitale stammen.
13.4 Der Geruch des Harns gesunder Rinder ist aromatisch. Ammoniakalischer Geruch weist auf Harnwegsinfektion hin. Die Fähigkeit von Menschen, Ketonkörper im Harn (oder der Ausatemluft) zu riechen, ist genetisch bedingt unterschiedlich.
13.5 Die Dichte des Harns kann direkt mit einem Aräometer (Senkspindel) gemessen werden. Meist wird sie aber indirekt mit entsprechend geeichten Refraktometern bestimmt. (Refraktometer bestimmen den Refraktionsindex, der - im Gegensatz zur Dichte - allein von der Konzentration gelöster Teilchen, nicht aber von deren Masse beeinflusst wird. Da die Art und relativen Anteile der im Harn gelösten Substanzen aber recht konstant sind, besteht eine hinreichend gute Korrelation zwischen Refraktionsindex und Dichte.) Rein theoretisch könnte die Dichte auch durch Wiegung eines bestimmten Volumens Harn oder durch den Quotienten der Gewichte gleicher Volumina Harn und Wasser ermittelt werden. Es gibt auch Teststreifen mit einem Feld für die Dichte.
Die Harndichte hängt physiologischer Weise von der (augenblicklichen) Situation des Flüssigkeitshaushaltes ab. Zwischen Saugkälbern und erwachsenen Rindern gibt es hinsichtlich der Harndichte deutliche Unterschiede. Während bei erwachsenen Rindern die Harndichte etwa zwischen 1,02 und 1,04 (g/L) schwankt, ist sie bei Saugkälbern meist unter 1,01, weil Kälber mit ihrer ausschließlich flüssigen Nahrung relativ viel mehr Wasser zu sich nehmen als erwachsene Rinder.
Die folgenden Parameter sind mit Teststreifen bestimmbar.
13.6 Nitrit taucht in erfassbarer Konzentration nur im Fall von Harnwegsinfektionen auf.
13.7 Eiweiß
Die üblichen Sticks haben eine untere Nachweisgrenze (+--) für Albumin von 0,3 g/L. Positive Befunde werden dort eingeteilt in weitere Stufen von 1,0 (++-) und 5,0 g/L (+++). Die Nachweisgrenze für Globuline ist höher.
Hierbei ist Folgendes zu beachten:
Falsch positive Befunde sollen bei deutlich alkalischem Harn, wie bei ruminierenden Wiederkäuern üblich, vorkommen.
Deutlich positive Reaktionen mit Katheterharn sollten Anlass zu weiteren Untersuchungen geben.
Proteinurie kann prärenalen, renalen oder postrenalen Ursprung haben. Prärenale Proteinurie entsteht, wenn im Plasma filtrierbare Eiweiße auftauchen, die normalerweise nicht im Plasma sind, z.B.Hämoglobin oder Myoglobin. Renale Proteinurie entsteht, wenn normalerweise im Plasma vorhandene Proteine aufgrund von Dysfunktion der Nieren im Endharn erscheinen. Zu unterscheiden ist hierbei funktionelle (z. B. vorübergehende Proteinurie bei Fieber oder Überanstrengung) und pathologische renale Proteinurie. Im letzteren Fall kann die Proteinurie glomerulär (Erhöhung der Permeabilität), tubulär (Störung der Rückresorption von normalen, filtrierbaren Plasmaproteinen) oder interstitiell (Exsudation von Proteinen in das Tubuluslumen bei Nephritiden) bedingt sein. Postrenale Proteinurie entsteht durch Beimengungen von Eiweißen zum Harn außerhalb der Niere, z.B. durch Blutungen oder Entzündungen in den Ureteren, Blase oder Urethra, oder aber durch Verunreinigungen, die nicht aus dem Harntrakt stammen. Solche Verunreinigungen von Spontanharn durch eiweißhaltige Sekrete aus dem Genitaltrakt sind bei Kühen im Puerperium oder solchen mit Infektionen des Genitalraktes möglich.
Da die Konzentration von Eiweiß in einer Harnprobe je nach augenblicklicher Verdünnung oder Konzentration des Harns schwanken kann, ist es sinnvoll, die Konzentration des Eiweißes auf die Konzentration von Kreatinin zu beziehen.
13.8 Glukose ist im Harn von Rindern normalerweise nicht in Konzentrationen enthalten, die mit den üblichen Testreifen nachgewiesen werden können. Glukosurie bedeutet also stets, dass die so genannte Nierenschwelle für Glukose (das ist die tubuläre Rückresorptionskapazität) überschritten ist oder war. Dafür gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten: entweder ist die Rückresorptionskapazität normal; dann ist der Blutspiegel dauerhaft (durch den beim Rind seltenen Diabetes mellitus) oder vorübergehend deutlich über die Norm erhöht. (Beispiele für letztere Möglichkeit sind Stress, Infusion von Glukose, Injektion von Glukokortikoiden.) Im anderen Fall ist die Rückresorptionskapazität erniedrigt; es liegt also Tubulusinsuffizienz vor (Beispiel hierfür ist akutes Nierenversagen, z.B. durch Quecksilbervergiftung). Der Blutspiegel ist dabei normal oder erniedrigt.
13.9 Ketonkörper (Aceton, Acetessigsäure, ß-Hydroxibuttersäure [BHB]) werden im Zustand der Ketose mit dem Harn (aber auch mit der Atemluft und der Milch) ausgeschieden. Aus klinischer Sicht ist immer zwischen primärer und der (viel häufigeren) sekundären Ketose zu unterscheiden.
Statt mit Teststreifen kann Ketonurie auch mit dem so genannten Rothera-Test nachgewiesen werden:
Zur Zusammensetzung des Testpulvers gibt es verschiedene Angaben:
Nitroprussid-Natrium |
1,0 g |
oder |
3,0 g |
Ammoniumsulfat |
20,0 g |
oder |
100,0 g |
Natriumcarbonat |
20,0 g |
oder |
3,0 g |
Das Testpulver ist einem geschlossenen Behältnis aufzubewahren. Einige Tropfen Harn werden auf ca. eine Messerspitze Testpulver gegeben. Im positiven Fall färbt sich das Pulver mehr oder weniger rasch mehr oder weniger intensiv violett. Durch serielle Verdünnung des Harns (z.B. mit einer Einmalspritze) kann die Quantifizierung etwas präzisiert werden. Bei ausgeprägter Ketonurie fällt der Test auch nach 100facher Verdünnung des Harns noch positiv aus.
13.10 Bilirubin taucht im Harn nur bei posthepatischem Ikterus auf, da nur das bereits konjugierte Bilirubin II wasserlöslich ist.
13.11 Hb/Mb/Erys werden auf einem Feld nachgewiesen. Mit manchen Streifen ist die Differenzierung zwischen Chromoproteinurie (Hb- oder Mb-Urie) einerseits und (Mikro-!)-Hämaturie andererseits möglich, da im letzteren Fall die einzelnen lysierten Erythrozyten als Pünktchen sichtbar sind, während sich das Reaktionsfeld im ersteren Fall von vornherein homogen verfärbt.
13.11.1 Differenzialdiagnostik bei Rotverfärbung des Harns
In Frage kommen Hämaturie, Hämoglobinurie und Myoglobinurie. Bei massiver Verfärbung des Harns gestatten die Testfelder für Erys/Hb auf Teststreifen keine Differenzierung zwischen Hämaturie und Hb-Urie mehr. Außerdem reagieren sie auch mit Mb.
Die Probe wird zentrifugiert
Überstand entfärbt und rotes Sediment?
Ja Þ Hämaturie
Nein Þ Chromoproteinurie (Hb-Urie oder Mb-Urie)
Hämaturie (Blutaustritt distal des glomerulären Filters: Wird je eine Harnportion vom Anfang, von der Mitte und vom Ende des Harnabsatzes aufgefangen, ergeben sich gewisse Hinweise auf die Quelle der Blutung.)
Nur Anfangsstrahl verfärbt? (Quelle der Blutung ist vermutlich die Urethra)
Vor allem Endstrahl verfärbt? (Quelle der Blutung ist vermutlich Blase, weil sich das Blut dem Harn unterschichtet und mit dem letzten Rest des Harns entleert wird.)
Alle Portionen gleichmäßig verfärbt? (Quelle der Blutung ist vermutlich Niere oder Ureter, weil dann der Harn schon gleichmäßig mit Blut vermisch in der Blase ankommt.)
Chromoproteinurie
Harn mit (NH4)2SO4 (Ammoniumsulfat) vermischen (etwa 3 g pro 5 mL) und anschließend filtrieren
Filtrat entfärbt?
Ja Þ Hb-Urie; Plasma sollte rötlich verfärbt sein (intravasale Hämolyse)
Nein Þ Mb-Urie; Serum-CK sollte deutlich erhöht sein (akute Myopathie)
13.12 Netto-Säuren-Basen-Ausscheidung (NSBA) ist ein Indikator für die Stoffwechselsituation.