Sehnenstelzfuß
Neuromyodysplasia congenita (NMDC)
 
Autor: M. Metzner
 
 
Das Wichtigste in Kürze

Gebeugte Haltung der Gliedmaßen durch Verkürzungen der Sehnen und / oder Muskeln der Beuger, oder durch zu schnelles Knochenwachstum. Ursache nicht sicher bekannt. Ab Geburt fällt eine Verkrümmung auf, meist sind die Vordergliedmaßen symmetrisch betroffen, seltener nur eine Vordergliedmaße oder die Hintergliedmaßen. Unterschiedlich starke Ausprägung. Gefahr von Arthritiden. Leichtgradig betroffene Tiere bedürfen kaum der Unterstützung, bei mittelgradigen Verkrümmungen können mit einem Kunstharzkleber über die Klauenspitzen überstehende Holzbrettchen unter die Klauensohlen geklebt werden. In schweren Fällen kann ein Stützverband angelegt werden, gegebenenfalls muß vorher eine Tenotomie der oberflächlichen und tiefen Beugesehnen durchgeführt werden.


 

Prüfungsstoff
 
 
Ätiologie
Klinisches Bild
Möglichkeiten zur Korrektur

 

Ätiologie:
Für die gebeugte Haltung werden Verkürzungen der Sehnen und / oder Muskeln der Beuger oder ein zu schnelles Wachstum der Knochen verantwortlich gemacht. Die Ursache ist nicht sicher bekannt. Vermutet werden auch erbliche Defekte, Veränderungen im zentralen Nervensystem, fütterungs- und umweltbedingte Schädigungen. Auch Virusinfektionen zu einem bestimmten Entwicklungszeitpunkt im fötalen Leben werden in Betracht gezogen. Solange eine Erblichkeit nicht sicher ausgeschlossen werden kann, sollten solche Tiere nicht zur Zucht verwendet werden. Möglicherweise tritt die NMDC bei Kälbern der Rasse 'Deutsches Fleckvieh' häufiger auf als in anderen Rassen.
 

Klinisches Bild:
Bereits von Geburt an fällt eine Verkrümmung (Beugung) der Gliedmaßen auf. Meist sind die Vordergliedmaßen symmetrisch betroffen, seltener nur eine Vordergliedmaße oder die Hintergliedmaßen. Die Ausprägung ist unterschiedlich stark: in leichten Fällen fußen die Kälber nur auf den Klauenspitzen, sie können damit aber noch stehen, ohne nach vorne umzuknicken (NMDC I). Innerhalb von 2 Wochen ‘verwächst’ sich das von selbst. Anders sieht es aus, wenn die Kälber vorne umknicken, und ein Fußen auf den Klauen nicht mehr möglich ist. Mit mäßigem Druck läßt sich die Gliedmaße zwar fast vollständig strecken, die Tiere können die Haltung jedoch nicht selber korrigieren (NMDC II). Die Tränke wird nur mühevoll in eingeknickter Haltung aufgenommen und, wenn die Einstreu nicht weich ist, treten alsbald Druckstellen im Fesselkopfbereich auf. Durch die Wunden können Eitererreger eindringen und zu schmerzhaften Entzündungen führen. Nicht selten kommt es zu Arthritiden.
Das nachfolgende Foto zeigt ein Kalb mit stärkerer (NMDC II - III) Ausprägung:




Möglichkeiten zur Korrektur:
Leichtgradig betroffene Tiere bedürfen lediglich einer geringen Unterstützung beim Tränken, bis sie sicher auf den Klauensohlen fußen. Bei mittelgradig veränderten Verkrümmungen der Vordergliedmaßen gibt es jedoch eine einfache und kostengünstige Maßnahme, den Tieren beim Stehen zu helfen und Hautverletzungen vorzubeugen: mit einem Kunstharzkleber werden ‘Holzbrettchen’ unter die Klauensohlen geklebt. Durch die Hebelwirkung - die Brettchen stehen vorne ca. 3 - 4 cm über die Klauenspitzen hinaus - können die Kälber stehen, ohne einzuknicken, und es kommt durch den ständigen Zug an den betreffenden Beugesehnen zu einer allmählichen Streckung. Materialkosten der ‘Steh-Hilfe’: ca. 10,- Euro. In schwereren Fällen kann ein Stützverband (Gips oder Kunststoff) angelegt werden (Materialkosten ca. 50,- Euro). In sehr schweren Fällen muß vor Anlegen des Verbandes eine Tenotomie der oberflächlichen und tiefen Beugesehnen durchgeführt werden. Da die Methoden mit Stützverbänden verhältnismäßig teuer sind, werden sie von den Besitzern bei Masttieren nur verlangt, wenn auch ein entsprechend hoher Nutzwert erwartet werden kann.

Brettchenmethode:
Vorraussetzung: mit mäßigem Druck muß eine Streckung soweit möglich sein, daß zu erwarten ist, daß das Eigengewicht der Kälber über die Hebelwirkung der Brettchen ebenfalls zu einer ausreichenden Streckung führen wird. Die Größe der Brettchen beträgt etwa 60 X 80 mm. Bewährt haben sich Sperrholzbrettchen in einer Dicke von 8 mm.




Hartholzbrettchen sind haltbarer, aber schwerer zu beschaffen. Die Ecken sollten abgerundet werden, damit sich die Kälber nicht selbst verletzen können. Falls Haare über den Kronsaum hinunter ragen, müssen diese gekürzt werden, damit sie beim Einpacken des Klauenschuhs mit dem Kunstharz nicht verklebt werden. Das weiche fötale Klauenkissen muß mit dem Klauenmesser vorsichtig entfernt werden (Klauensohle darf nicht mehr weiß sein, sondern muß den Farbton der Klauenwand annehmen). Danach wird die Oberfläche der äußeren Klauenwand aufgerauht (mit Klauenmesser schaben) und anschließend Klauensohle und -wand mit Äther entfettet. Für das Anbringen der Brettchen sind ca. 70 ml Kunstharzpuder pro Gliedmaße notwendig. Verwendet wird derselbe Kleber, der auch zum Anbringen von Klauenklötzen bei Kühen dient. Die Hände sollten durch Einmalhandschuhe geschützt (der Kleber ist von der Haut nur schwer ablösbar) und die Handschuhe mit etwas Seife gleitfähig gemacht werden. Eine Hilfsperson zum Halten des Tieres muß ausreichend Kraft besitzen, um während des Klebevorgangs Abwehrbewegungen durch das Kalb zu unterbinden. Zunächst wird das angerührte Gemisch mit einem Holzstäbchen auf das Brettchen, die Klauensohle und die äußere Klauenwand gestrichen, dann das Brettchen auf die Sohlen gedrückt und der Rest des Kunstharzes als Schuh modelliert (Ballenbereich freilassen). Die äußere Klauenwand sollte bis ca. 3 mm unterhalb des Kronsaums eingepackt werden, damit ein guter Halt zwischen Brettchen und weichem Klauenschuh gewährleistet ist. Die Brettchen werden so angebracht, daß sie hinten mit dem Ballen abschließen und die Längsachse im Zwischenklauenspalt liegt. Bis zum Anziehen des Klebers muß der ‘Kunstschuh’ ständig modelliert und neu ausgerichtet werden.

Nach dem vollständigen Aushärten wird ein Stehversuch durchgeführt. Können die Tiere sich auf beiden Beinen halten, ist mit einer baldigen Besserung zu rechnen. Die Einstreu darf dann ausnahmsweise nicht zu weich sein, da die Brettchen sonst versinken und ihre Wirkung verfehlen. In der Regel lösen sie sich nach ca. 2 Wochen von selbst, andernfalls hilft der gezielter Hieb mit einer Klinge auf die Verbindungsstelle zwischen Brettchen und Sohlenrand. Können die Tiere trotz Brettchen nicht stehen, kommt nur Stützverband mit oder ohne chirurgischen Eingriff in Betracht.

Stützverbände:
Voraussetzung für das Gelingen ist, daß es mit einigem Kraftaufwand möglich ist, die betroffenen Gelenke fast vollständig zu strecken. Außerdem sollten keine infizierten Hautareale oder septischen Arthritiden vorliegen.
Die betroffene Gliedmaße wird zunächst mit Watte bis zum Ellenbogengelenk / Sprunggelenk gepolstert (Afterklauen und Zwischenklauenspalt zusätzlich polstern). Auch wenn nur die Fesselgelenke betroffen zu sein scheinen, so haben sich diese hohen Verbände besser bewährt als nur bis zum Carpus reichende. Wenn man zur späteren Wiederabnahme des Verbandes keine oszillierende Säge zur Verfügung hat, empfiehlt es sich, jetzt medial und lateral einen mit einem Infusionsschlauch ummantelten Lies’schen Sägedraht einzulegen. Die Watteabdeckung (u. ggf. der Sägedraht) wird mit einer Mullbinde fixiert. Nun mit 2 Kunststoffverbänden (z.B.: Länge: 360 cm, Breite: 10 cm) die Gliedmaße umwickeln. Proximal muß etwas Watte über den Kunststoffverband hinausragen, um Drucknekrosen vorzubeugen. Distal empfiehlt es sich, die Klaue vollständig mit einzubeziehen, damit keine Feuchtigkeit eindringen kann. Bis zum Aushärten muß die Gliedmaße mit Kraft gestreckt gehalten werden (Handschuhe verwenden, damit die Haut nicht am Verband festklebt !!!). Die Verbände verbleiben ca. 3 – 4 Wochen. Als preiswerte Alternative können auch Kunststoffrohre aus dem Baumarkt (längs aufgeschnitten -> zwei Schalen) verwendet werden.

Tenotomie:
Sedation (z.B. Xylazin) und lokale Anästhesie (z.B.: 2%iges Lokalanästhetikum ohne Sperrkörper) oder Vollnarkose. Übliche Reinigung, Entfettung und Desinfektion. Fixierung des Tieres in Rückenlage. Inzision der Haut in Längsrichtung, in der Mitte des Metacarpus, direkt über dem Verlauf der Beugesehnen, auf ca. 3,5 cm. Inzision der Fascie auf ca. 3 cm in Längsrichtung. Nun empfiehlt es sich, die zu durchtrennenden Sehnen mit einer Sonde zu unterfahren und anzuheben und dann mit einem Skalpell oder Tenotom zu durchtrennen. Häufig können mehr als 2 ‚Sehnenstränge‘ gefunden werden. Wichtige Gefäße und Nerven verlaufen medial der gemeinsamen Beugesehnenscheide. Während des Durchtrennens kann eine Hilfsperson überprüfen, ob die Gelenke ausreichend gestreckt werden können. Die Tenotomie des M. interosseus medius ist problematisch, da es fast immer zu umfangreichen, schwer stillbaren Blutungen kommt; der Nutzen erscheint gering. Es wird nur die Haut mit einem resorbierbaren Faden verschlossen. Wundabdeckung mit einer Mullbindenlage. Danach werden die oben beschriebenen Stützverbände angelegt. Verbandabnahme nach ca. 3 – 4 Wochen.

Medikamentell:
Larven und Cook (1997) haben nach zweimaliger i.v- Injektion von je 3 g Oxytetracylin (im  Abstand von 48 Stunden) bei 2-Tage alten Charolais x HF-Kälbern mit schwerwiegenden, beidseitigen  Verkrümmungen der Vordergliedmaßen innerhalb von 3 Tagen eine vollständige Heilung beobachtet. Die Reproduzierbarkeit dieser bei Fohlen häufiger angewandten Methode wurde von der Klinik bisher nicht überprüft.
 

PubMed
 
 

Letzte Änderung: 04.01.2017


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