Das Wichtigste in Kürze
Kälberdurchfall ist überwiegend infektiöser Natur (häufig Rota- und Coronaviren, bestimmte Typen von E.coli). Die klinischen Erscheinungen beschreiben neben Durchfall hauptsächlich dessen Folgen (Exsikkose, Azidose, Hypoglykämie). Therapeutische Maßnahmen beinhalten den Ersatz von bereits eingetretenen und anhaltenden Flüssigkeitsverlusten (mittels oraler Rehydratation, bei stärkerer Dehydratation zusätzlich Sturzinfusion oder Dauertropfinfusion), die Zufuhr von Puffersubstanzen zur Vermeidung und/oder Behandlung einer metabolischen Azidose und die Deckung des Nährstoffbedarfs. Wichtigster Aspekt der Prophylaxe ist die optimale Versorgung des neugeborenen Kalbes mit Kolostrum. |
Prüfungsstoff
Erreger | Diagnose |
Epidemiologie | Differentialdiagnose |
Pathogenese | Therapie |
Klinische Erscheinungen | Prophylaxe |
Erreger:
Es ist davon auszugehen, dass die überwiegende Mehrheit der
bestandsweise gehäuft auftretenden Durchfälle junger Kälber
(bis 14 Tage) infektiöser Natur sind. Dabei spielen sowohl Viren (am
häufigsten werden Rota- und Coronaviren festgestellt, es werden jedoch
immer wieder "neue" Viren aus durchfallkranken Kälbern isoliert, z. B. auch Noroviren) als
auch Bakterien (vor allem bestimmte Typen von E. coli) und Parasiten (vor
allem Kryptosporidien) als Einzel- oder Mischinfektion eine Rolle.
In allen Untersuchungen zu diesem Thema werden jedoch bei einem beträchtlichen
Teil der Probanden keine der bekannten Durchfallerreger gefunden.
Rotaviren
Es gibt verschiedene Serotypen (bisher 14
G-Serotypen und 21 P-Serotypen bekannt; Glykoprotein VP 7 induziert die Bildung
von neutralisierenden AK) ohne Kreuzimmunität. Befallen viele Säugerspezies,
einschließlich Mensch. Rotaviren können Gensegmente austauschen und auch die
Speziesbarriere überspringen. Sehr kurze Inkubationszeit (12 h - 3 d). Auch
unter Feldbedingungen können Kälber also schon vor 24 Stunden post natum Rotavirus-bedingten Durchfall zeigen. Rotaviren besitzen ein Enterotoxin (NSP4).
Es kommen sowohl inapparente als auch rezidivierende Infektionen vor. Unter
experimentellen Bedingungen tritt bei 10 Tage alten Kälbern nach Infektion mit
Rotaviren trotz nachweisbarem Befall der Enterozyten kein Durchfall mehr auf.
Möglicherweise ist das eine Erklärung für die immer wieder berichtete
Beobachtung, dass Rotaviren aus durchfallkranken und aus gesunden Kälbern eines
Bestandes isoliert werden können. Schnelltests zum Nachweis in der Praxis
sind verfügbar. In der Humanmedizin wurde Meldepflicht für
Rotavirusinfektionen eingeführt. Weltweit wird die Zahl der rotavirusbedingten
Todesfälle bei Kindern unter 5 Jahren auf 600.000 pro Jahr geschätzt.
Coronaviren
Bei Rindern bisher erst ein Serotyp
isoliert, der nur Rinder zu befallen scheint. Coronaviren spielen
auch bei respiratorischen Erkrankungen eine Rolle. Rezidivierende Infektionen
kommen vor. Siehe auch Winterdysenterie. Zwischen BCV -(bovines
Corona-Virus)-Stämmen aus Kälberdurchfall und solchen aus Winter-Dysenterie
besteht Kreuzimmunität. Eine Unterscheidung dieser Stämme nach assoziiertem
Krankheitsbild ist bisher nicht möglich. Experimentelle Infektion von
seronegativen Kühen führt vorübergehend zu Fieber, Durchfall, Milchrückgang und
Leukopenie. Schnelltests zum Nachweis in der Praxis sind verfügbar, die
Zuverlässigkeit wird jedoch angezweifelt.
Parvoviren
Bisher zwei Serotypen entdeckt.
Intrauterine Infektionen möglich. Befallen nach initialer Virämie die Epithelien
der Lieberkühnschen Krypten.
Bredaviren
Bisher zwei Serotypen isoliert. Befallen
möglicherweise auch den Menschen. Hohe Seroprävalenz in USA und Westeuropa.
Bovine Noroviren (Ordnung Norovirus, Familie Caliciviridae)
Werden weltweit oft in Fäzes von Kälbern mit Durchfall nachgewiesen. Deutliche genetische und antigenetische Diversität.
Bovines Kobuvirus (Fam Picornaviridae) (ProMED Digest, Vol 90, Issue 38)
Wurde auf verschiedenen Kontinenten in Fäzes von Kälbern mit Durchfall nachgewiesen. Wahre Verbreitung und ätiologische Bedeutung noch nicht bekannt.
Escherichia coli
Wurde früher als der alleinige
Erreger von Kälberdurchfall angesehen ("Koli-Bazillose", "Koli-Ruhr"). Ist ein
normaler Dickdarmbewohner. Die Nomenklatur ist etwas verwirrend und wechselt
immer wieder. Es gibt verschiedene Stämme mit unterschiedlichen
Pathogenitätsprinzipien, z.B. ETEC (enterotoxische E. coli), EPEC
(enteropathogene E.c.), EIEC (enteroinvasive E.c.). Bei Kälbern scheinen vor
allem ETEC und EPEC eine Rolle zu spielen. AEEC (attaching and effacing E.c.)
sind nachgewiesen, wobei die betroffenen Kälber zum Teil blutigen Kot absetzten.
AEEC werden in der Humanmedizin als EPEC und EHEC (Enterohämorrhagische EC)
bezeichnet. EHEC produzieren Vero(cyto)toxine (cytotoxischer Effekt in
Verozellkulturen), die auch Shiga(like)-Toxine genannt werden. Beim Menschen
können sie hämorrhagische Colitis mit Dysenterie, thrombozytopenische Purpura
und, als relativ seltene Komplikation, HUS (Hämolytisch-urämisches Syndrom)
verursachen, das mit einer Letalität von etwa 10 % behaftet ist. Diese Keime
haben in den letzten Jahren in den Medien Furore gemacht ("Killerbakterien!"
"Die Keimbombe im Kuhstall!") Sie sind in der Rinderpopulation weit verbreitet.
Bei Kälbern mit Durchfall sollen sie häufiger nachzuweisen sein als bei
erwachsenen Rindern. Möglicherweise handelt es sich dabei um besondere
Serotypen.
Kryptosporidien
Protozoen, gehören zu den Kokzidien.
Sehr breites Wirtsspektrum, das bei Cryptosporidium parvum, mehr als 80
Säugetierspezies umfasst. Diese Spezies ist die einzige, welche auch für Menschen
(insbesondere solche mit Beeinträchtigung des Immunsystems) gefährlich werden kann.
Gelegentlich kommt es bei Menschen zu größeren Ausbrüchen. Der bisher größte war
1993 in Milwaukee, Wisconsin. Es erkrankten über 400.000 Menschen an mehr oder
weniger heftigen Durchfällen. Zunächst wurde vermutet, dass die Ansteckungsquelle
Abwasser aus Rinderhaltung sei. Auf der Basis von DNS "fingerprinting" ergaben
sich jedoch Hinweise, dass menschliche Abwässer die Quelle waren. Autoinfektion
möglich. Therapie: In einigen experimentellen Untersuchungen hat sich
Halofuginon als prophylaktisch und therapeutisch wirksam (Reduktion der
Oocystenausscheidung) erwiesen. Ein Präparat mit diesem Wirkstoff ist unter dem
Namen HALOCUR(R) (Hoechst Roussel) auf dem Markt. Nachweis (s. Rotaviren). Unter
experimentellen Bedingungen hat sich eine Muttertiervakzine als wirksam
erwiesen.
Epidemiologie:
Betroffen sind Kälber bis zum Alter von etwa zwei Wochen. Kälberdurchfall
dürfte die häufigste Rinderkrankheit sein. Die wirtschaftliche
Bedeutung wird allerdings durch Hochrechnungen der Verluste auf Landesebene
häufig irreführend hoch dargestellt. Vergleichbare Erkrankungen
gibt es bei Schafen, Schweinen und Menschen. Durchfall ist in den Ländern
der sogenannten dritten Welt die häufigste Todesursache bei Säuglingen
und Kleinkindern.
Pathogenese:
Die wichtigsten pathogenetischen Mechanismen bei der Auslösung
von Durchfall sowie dessen metabolische Folgen sind in den nächsten
Abbildungen schematisch dargestellt. Lebensbedrohlich sind nicht die lokalen
Infektionen, sondern die sich aus dem Flüssigkeits- und Elektrolytverlust
ergebenden Störungen.
Erklärungen: NEB = negative Energiebilanz; EZR = Extrazellulärraum
Erklärungen: IZF = Intrazelluläre Flüssigkeit; EZF = extrazelluläre Flüssigkeit.
Die Kästchen entsprechen je einem halben Liter Flüssigkeit.
Die roten Kästchen im zweiten Bild stellen die Verluste dar.
Klinische Erscheinungen:
Durchfall.
Die weiteren Symptome sind Ausdruck der Folgen des Durchfalls (Exsikkose,
Azidose, Hypoglykämie): herabgesetzter Hautturgor, einfallende Augen,
Trinkschwäche, Festliegen, kühle Akren, Hinfälligkeit.
Bild links: Kalb mit wässrigem Durchfall. Der Kot wird im Strahl abgesetzt
Bild rechts: Hochgradig eingesunkener Bulbus bei einem Kalb mit Durchfall.
Diagnose:
Für die Behandlung des erkrankten Einzeltieres ist der Versuch
einer ätiologischen Abklärung nicht sinnvoll.
Bei bestandsweise gehäuftem Auftreten sollten Kotproben zur Untersuchung
auf die genannten Mikroorganismen (und Salmonellen) eingeleitet werden.
Dabei ist zu beachten, dass insbesondere virale Erreger nur kurze
Zeit nach Krankheitsausbruch nachweisbar sind.
Differentialdiagnose:
Salmonellose, diätetisch bedingter Durchfall nach Umstellung auf
Milchaustauscher.
Therapie:
Die Behandlung sollte auf das Ziel ausgerichtet sein, dem Kalb dazu
zu verhelfen, die Durchfall-Episode so gut wie möglich zu überstehen
und basiert auf folgenden Prinzipien:
- Ersatz von Verlusten
- Deckung des Nährstoffbedarfs
- unterstützende Pflege ("TLC" = tender loving care)
Kälber mit starkem Durchfall können mit den Fäzes Flüssigkeit
in einer Menge von bis zu 20 % ihrer Körpermasse am Tag verlieren.
Als Faustzahl kann 10 % verwendet werden. (Dies bedeutet jedoch nicht,
dass in der Flüssigkeitsbilanz des Organismus dieses Volumen in Gänze
fehlt, denn Kälber sind in der Lage, ihre Harnproduktion von normalerweise
etwa 3,5 bis 5 Liter auf deutlich unter 1 L pro Tag zu drosseln.) Mit dieser
Flüssigkeit gehen Elektrolyte verloren, vor allem Natrium, Kalium,
Chlorid und Hydrogenkarbonat. Meist sind die Relationen zwischen Wasser
und Elektrolyten in der verlorenen Flüssigkeit so, dass die verbleibende
extrazelluläre Flüssigkeit in ihrem osmotischen Druck wenig verändert
(isotone Dehydratation) oder leicht herabgesetzt (hypotone Dehydratation)
ist. Das bedeutet im ersten Fall, dass der Extrazellulärraum
allein die Verluste erleidet, im zweiten Fall, dass er darüber hinaus
noch Wasser an den relativ hypertonen Intrazellulärraum verliert.
In der obigen Abbildung sind die Auswirkungen auf die Flüssigkeits-Kompartimente
schematisch dargestellt.
Zum Ersatz von Verlusten: Hier sind die beiden Komponenten
- bereits eingetretene Verluste und
- anhaltende Verluste
zu berücksichtigen. Die bei einem durchfallkranken Kalb bereits
eingetretenen Verluste können hinreichend genau aus den klinischen
Symptomen abgeschätzt werden (vgl. Tab. 1).
Tab. 1: Symptomatik bei akuter Dehydratation1
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Anmerkungen
(1) Bei allmählich eintretender Dehydratation sind
die klinischen Symptome weniger ausgeprägt. Das bedeutet umgekehrt,
dass in einem solchen Fall die angegebenen Symptome auf höhere
Verluste hindeuten.
(2) Bezogen auf Körpermasse
(3) Wenn klinische Symptome erkennbar sind, hat ein Kalb
mit 40 Kg Körpermasse also mindestens zwei Liter Flüssigkeit
verloren.
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Die anhaltenden Verluste sollten mit 5 - 10 % der Körpermasse pro Tag veranschlagt werden.
Bei der Zusammensetzung der Rehydratationsflüssigkeit sollte man
nicht nach inadäquater Präzision streben. Ein ausreichendes Volumen
einer nicht optimal zusammengesetzten Lösung ist hilfreicher als ein
viel zu geringes Volumen einer noch so ausgetüftelt zusammengesetzten
Infusion. Lösungen für die orale Rehydratation sind im
Handel oder können nach folgendem Rezept selbst hergestellt werden:
Natriumchlorid | 3,5 g |
Traubenzucker | 20,0 g |
Natriumhydrogenkarbonat | 2,5 g |
Kaliumchlorid | 1,5 g |
auf 1 Liter Wasser |
Orale Rehydratation ist angebracht und meist ausreichend, wenn das Kalb noch trinkt und höchstens mittelgradig ausgetrocknet ist. Bei Inappetenz und/oder starker Exsikkose sollte infundiert werden. Ob man sich für die rasche Infusion von einigen Litern oder eine Dauertropfinfusion entscheidet, hängt weitgehend von der persönlichen Präferenz ab. Wenn ein Kalb nach Infusion wieder trinkt, was häufig der Fall ist, kann auf orale Rehydratation umgestellt werden. Nachkontrolle von Hautturgor und Bulbuslage sind notwendig!
Der in der Vergangenheit empfohlene „Standardtropf“ (6 Liter 0,9 % NaCl,
2 Liter 5 % Glukose, 2 Liter 1,4- oder 2,1 % Natriumhydrogenkarbonat) wurde
in den letzten Jahren auf Grund klinischer Studien und aus Gründen
der Praktikabilität modifiziert. Unter Praxisbedingungen ist zu empfehlen,
Kälbern mit schwerer Exsikkose folgende 10 Liter Infusionslösung
innerhalb von 24 Stunden zu verabreichen:
7 Liter 0,9 % NaCl (jeweils 9 g/l)
3 Liter 2,1 % Natriumhydrogenkarbonat (jeweils 21 g/l)
Für Tiere mit mäßiger Exsikkose und/oder schlechter
Tränkeaufnahme ist die Infusion von 5 Litern (3 Liter 0,9 % NaCl,
2 Liter 2,1 % NaHCO3) innerhalb eines Tages in der Regel ausreichend.
Bei Kälbern, die seit längerer Zeit zu wenig trinken und sich in schlechtem Ernährungszustand befinden, kann ein
Teil der 0,9 %igen NaCl - Lösung durch 10 – 20 %ige Glukoselösung
ersetzt werden.
NaHCO3 dient zur Korrektur der meist vorliegenden metabolischen
Azidose. (Siehe metabolische Azidose
im Glossar).
Bei der Abschätzung der benötigten Puffermenge ist Folgendes zu beachten:
– Es gibt keinen verlässlichen Zusammenhang zwischen Dehydratation
und Azidose.
– Die Angaben in nachfolgender Übersicht können zur Abschätzung
des Grades der metabolischen Azidose dienen, allerdings können die
klinischen Erscheinungen bei gleichem Basendefizit bei einzelnen Kälbern
variieren.
Grad der metabolischen Azidose | Klinische Symptomatik |
keine Azidose | Kalb steht in der Regel bei Annäherung auf; reagiert neugierig oder ängstlich auf Untersucher; ist munter |
leichte Azidose
(Basenexzess bis ca. -10 mmol/L; Bedarf an Natriumhydrogenkarbonat ca. 20 – 30 g/Kalb) |
Kalb liegt viel, kann aber noch weitgehend sicher stehen; ist etwas müde |
mäßige Azidose
(BE ca. – 10 bis – 20 mmol/L: Bedarf an Natriumhydrogenkarbonat ca. 30 – 40 g/Kalb) |
Kalb steht nur mühsam auf oder muss aufgehoben werden, steht dann zunehmend wackelig und mit hängendem Kopf; reagiert zunehmend vermindert auf Untersucher oder andere Umweltreize |
schwere Azidose
(Basenexzess ab ca. -20 mmol/L; Bedarf an Natriumhydrogenkarbonat ca. 40 – 60 g/Kalb) |
Kalb ist apathisch bis komatös, in der Regel festliegend (evtl. nach mühsamem Aufheben noch für kurze Zeit stehfähig) |
– Vor allem bei Kälbern in Mutterkuhhaltung oder bei Verabreichung
von pufferarmen oder -freien Rehydratationslösungen (zum Beispiel
Tee mit Salz und Glukose) können ausgeprägte metabolische Azidosen
bei nur geringer Austrocknung vorkommen. In diesem Fall können durch
die Infusion höher konzentrierter (z. B. 1 Liter 4,2 %iger ) Natriumhydrogencarbonatlösungen
gute (zum Teil beeindruckende) Behandlungserfolge erzielt werden.
– Leichtere metabolische Azidosen bei nicht oder nur geringgradig ausgetrockneten
Tieren können auch durch die Eingabe von 20 – 40 g in Wasser gelöstem
Natriumhydrogencarbonat in den Pansen ausgeglichen werden.
– Häufig werden die durch Azidose hervorgerufenen Störungen
des Allgemeinbefindens von den Tierbesitzern nicht mit Durchfall in Zusammenhang
gebracht, da dieser bereits sistiert oder wenig ausgeprägt (dünnbreiiger
Kot in großer Masse) ist. Die teilweise zu beobachtende angestrengte
und verschärfte Atmung wird häufig als Bronchopneumonie-bedingt fehlgedeutet.
– Bei der Abschätzung des Azidosegrades ist zu berücksichtigen,
dass Verhaltens- und Haltungsauffälligkeiten auch durch andere Erkrankungen
verursacht werden können.
– Eine gegebenenfalls iatrogen induzierte – auch deutlich ausgeprägte
– Alkalose ruft bei Kälbern im Gegensatz zur Azidose keine wesentliche
Störung des Allgemeinbefindens hervor. Daraus folgt, dass die verabreichte
Puffermasse eher an der Obergrenze des abgeschätzten Bedarfes bemessen
werden sollte.
– Zum Ausgleich der metabolischen Azidose bei Kälbern mit Neugeborenendurchfall
ist die Verabreichung von Natriumhydrogenkarbonat das Mittel der Wahl.
Da insbesondere bei ausgetrockneten Tieren häufig auch eine Laktatazidose
vorliegt, ist vor allem die Verabreichung von Laktat als Puffervorstufe
nicht angezeigt.
Bild links: Kalb mit schwerer Blutazidose. Das Tier wird über eine
Ohrvene infundiert.
Eine Wärmelampe unterstützt den Wärmehaushalt des Tieres
(bei schwerer Blutazidose und Exsikkose liegt häufig auch eine Hypothermie
vor).
Bild rechts: Das selbe Kalb nach Ausgleich der Flüssigkeits- u.
Elektrolytverluste wenige Stunden später.
Zur Deckung des Nährstoffbedarfs: Es gibt keinen
Grund zu der Annahme, dass kranke Kälber einen geringeren Nährstoffbedarf
als gesunde haben, und dieser Bedarf wird am besten und billigsten durch
Kuhmilch gedeckt. Die häufig geäußerte Meinung, dass
die Milch abgesetzt werden muss, weil sie nicht verdaut werden kann
und deshalb in erheblichem Maß den Durchfall fördert, ist in
den allermeisten Fällen nicht zutreffend.
Sogenannte "Diättränken" sollen die pathologischen Verluste
ersetzen. Sie sind kein Mittel gegen Durchfall und sie sind keine vollwertige
Ernährung.
Abmagerung bei Kälbern nach Absetzen der Milchtränke und alleiniger
Verabreichung von "Diättränke".
Elektrolyttränken sollten möglichst früh im Krankheitsgeschehen
eingesetzt und so lange als zusätzliche Tränke angeboten werden,
wie das Kalb Durchfall hat. Es gibt sehr viele verschiedene Spezialpräparate
auf dem Markt. Als Auswahlkriterien spielen folgende Faktoren eine Rolle:
Pufferkapazität (die Dosierung von Na-Bikarbonat sollte
deklariert sein und, bezogen auf die Tagesration, etwa 0,4 g pro kg Körpermasse
betragen; nach Verabreichung von Präparaten mit ungenügender
Pufferwirkung kann es zu ausgeprägter metabolischer Azidose bei relativ
geringer Exsikkose kommen),
Akzeptanz (hier gibt es deutliche Unterschiede)
Preis (der eigentliche Zweck der oralen Rehydratation ist mit
relativ einfach zusammengesetzten und daher billigen Lösungen zu erreichen;
da diese aber kaum mit Gewinn zu verkaufen sind, überbieten sich die
Herstellerfirmen mit Zusatzstoffen aller Art).
In der Klinik für Wiederkäuer wird folgender Tränkeplan
verwendet:
Morgens (ca. 7:00) | 1,5 bis 2 Liter Vollmilch |
Zwischentränke (ca. 10:00) | 1 bis 2 Liter ORL* |
Mittags (ca. 12:00) | 1,5 bis 2 Liter Vollmilch |
Zwischentränke (ca. 16:00) | 1 bis 2 Liter ORL* |
Abends (ca. 19:00) | 1,5 bis 2 Liter Vollmilch |
Zwischentränke (ca. 20:00) | 1 bis 2 Liter ORL* |
Zur unterstützenden Pflege: Der Einsatz, den die
für die Versorgung der Kälber zuständige Person (vorzugsweise
die Betriebsleiterin) leisten will oder kann, ist für das Schicksal
eines erkrankten Kalbes oft genauso entscheidend wie die tierärztliche
Behandlung. Es kommt darauf an, dass das Kalb trocken liegt, bei niedriger
Temperatur zusätzliche Wärme bekommt und möglichst oft und
geduldig zum Trinken ermuntert wird.
Der agrarpolitisch offensichtlich erwünschte Druck zur Vergrößerung
der Betriebe geht vermutlich häufig mit einer Verringerung der Betreuungsintensität
und damit mit mehr Leiden bei Tieren einher.
Zum Einsatz von Antiinfektiva: In vielen "Durchfall-Pulvern" sind antibakterielle
Medikamente, oft in Kombination. Unkomplizierter Durchfall ist keine Indikation
zum Einsatz von antibakteriellen Medikamenten. Andererseits ist Durchfall natürlich
kein Hinderungsgrund, Antiinfektiva einzusetzen, wenn eine Komplikation oder
zusätzliche Erkrankung vorliegt, z.B. Nabelentzündung und/oder
Pneumonie.
Prophylaxe:
Die rechtzeitige und ausreichende Versorgung mit Kolostrum ist nach
wie vor der wichtigste Faktor in der Verhütung von infektionsbedingten
Kälberkrankheiten. Die kolostralen Antikörper haben nicht nur
die Funktion der Abwehr systemischer Infektionen (wozu sie resorbiert sein
müssen), sondern sie schützen auch gegen lokale Darminfektionen
(IgA). Die letztgenannte Funktion kann unterstützt werden durch Muttertierimpfung
(MTV) und/oder strategische Zutränkung von Erstgemelkskolostrum: überschüssiges
Erstgemelkskolostrum in Portionen von 1/2 Liter einfrieren und ab etwa
dem vierten Lebenstag einmal täglich eine Portion zur normalen Tränke
geben. Es muss dem zuständigen Personal klar gemacht werden, dass
die MTV nur über das Kolostrum wirken kann.
Die Vorstellungen über das als ausreichend anzusehende Volumen an
Kolostrum sind in den letzten Jahren immer wieder nach oben korrigiert
worden. Auf der Basis einer kanadischen Arbeit (und einigem „Feedback“
aus der Praxis) empfehle ich, einem neugeborenen Kalb 3,5 bis 4 Liter Kolostrum
anzubieten. Trinkt es spätestens nach 6 Stunden nicht oder weniger
als 2 Liter, sollte das Kolostrum über eine Sonde eingegeben werden.
Dies ist unserer Meinung nach die einzig akzeptable Indikation zur Zufuhr
von Milch über eine Sonde beim Kalb.
Schluckimpfung (Rotaviren, Coronaviren, ggf. "stallspezifische" E. coli).
Die Aufstallung in Einzelhütten im Freien kann auch in unseren Breiten vorgenommen werden. Es kommt darauf an, dass die Kälber trocken sind und trocken und zugfrei liegen.
Prophylaxemaßnahmen in Mutterkuhherden:
Getrennte Abkalbeplätze für Erstkalbende.
Erkrankte Kälber mit den Müttern isolieren.
Hochträchtigen Kalbinnen und Kühen Kraftfutter zufüttern.