Das Wichtigste in Kürze
Auftreten nach Aufnahme bleihaltiger Stoffe, die von Rindern gern gefressen werden, nicht infolge allgemeiner Kontamination der Umwelt. Pb schädigt Enzyme in vielen Organen. Allgemein geringe Resorption, Kumulation in Leber und Nieren. Ödembildung im Gehirn; bei tragenden Tieren Intoxikation des Fetus durch diaplazentaren Übergang von Pb. Akuter progressiver Verlauf, klinisch steht die ausgeprägte zentralnervöse Symptomatik im Vordergrund. Gastroenterale Symptome verschiedener Art sind möglich. Todesfälle können auch nach vorübergehender Besserung (insbesondere der zentralnervösen Symptome) eintreten. Bestätigung der klinischen Verdachtsdiagnose mittels Bestimmung der Pb-Konzentration in Kot oder Blut, bei verendeten Tieren auch in Leber oder Nieren, anhand der Konzentration der d-Aminolävulinsäure im Harn oder der d-ALAD-Aktivität in den Erythrozyten. Therapie: Magnesiumsulfat und Komplexbildner, wie z.B. Kalzium-EDTA. Bei akutem Anfall (Hirnödem) Infusion von Mannit-Lösung. |
Prüfungsstoff
Ätiologie | Diagnostik |
Epidemiologie | Differentialdiagnosen |
Pathogenese | Therapie |
Klinische Erscheinungen | Prophylaxe |
Ätiologie:
Akute Aufnahme toxischer Pb-Mengen
Epidemiologie:
Eine der häufigsten Vergiftungen bei Rindern. Keine Folge einer
allgemeinen Kontamination der Umwelt, sondern Folge einer punktuellen Kontamination.
Rinder haben eine ausgesprochene Vorliebe für bleihaltige Stoffe,
wovon es auf landwirtschaftlichen Betrieben einige gibt: Farben, Maschinenschmieröl,
Motoröl, Batterien, Ölfilter.
Pathogenese:
Pb schädigt Enzyme in vielen Organen. Nur wenige Prozent der aufgenommenen
Bleimenge werden resorbiert, und der größte Anteil davon wird
in der Leber und in den Nieren deponiert (führt zu Degeneration und
Nekrose). Pb wird langsam über Galle und Harn ausgeschieden.
Pb vermindert die Stabilität der Erys und stört die Häm-Biosynthese
durch Hemmung der Delta-Aminolävulinsäure-Dehydratase (d-ALAD)
und der Ferrochelatase. d-ALA wird vermehrt
über den Harn ausgeschieden.
Im Gehirn kommt es zur Ödembildung. Pb wird auch auf den Fetus
übertragen.
Klinische Erscheinungen:
Bei akuter Aufnahme größerer Pb-Mengen stehen die Symptome
von Seiten des ZNS im Vordergrund. Außerdem kann es zu Gastroenteritis
mit Durchfall kommen, wobei die Fäzes übelriechend sind. Es sind
jedoch auch Pansenatonie und Verstopfung beschrieben. Bei Menschen können
sogenannte Bleikoliken mit sehr starken Schmerzen auftreten.
ZNS-Symptomatik: Akuter Verlauf, mitunter werden Tiere unvermittelt
tot aufgefunden. Frühe Stadien: Herzfrequenz und Atemfrequenz erhöht,
häufiger Harnabsatz, Taumeln, Muskelzittern, Muskelzuckungen, besonders
im Kopf-Hals-Bereich, „Nicken“, Kaukrämpfe, Zähneknirschen mit
Bildung von schaumigem Speichel, Mydriasis, Hyperästhesie, auffallend
häufiges Zwinkern. Später: Zentrale Blindheit mit Mydriasis,
Lidreflex vermindert oder aufgehoben (angeblich auch einseitig), zielloses
Wandern, Kreisbewegungen, Einnahme unphysiologischer Stellungen, Vorwärtsdrang,
periodische Exzitationen, Opisthotonus, Krämpfe (letztere kündigen
den baldigen Tod an). Todesfälle können auch nach vorübergehender
Besserung (nach Therapie, s.u.) eintreten. Die Symptomatik ist bei der
dabei vorausgehenden Verschlechterung des Allgemeinzustandes nicht mehr
von ZNS-Ausfällen geprägt.
Vorwärtsdrängen bei einer Kuh mit Bleivergiftung: das Tier 'hängt' in der Kette.
Unphysiologische Haltung bei einer Kuh mit Bleivergiftung.
Video,
30 Sek., 4,7 MB In der Videosequenz sind zu
sehen: schmatzende Mundbewegungen, Speicheln, Blindheit (Tier läuft
gegen eine Wand), Vorwärtsdrängen (Tier lehnt sich mit Flotzmaul
gegen Wand), somnolente Phase.
Diagnostik:
Verdacht aufgrund der klinischen Symptomatik. Pb-Konzentration im Kot
über 35 mg/kg, im Blut über 350 µg/l, in den Nieren über
25 mg/kg Frischgewicht, in der Leber über 10 mg/kg Frischgewicht.
Bestimmung der d-ALA-Konzentration im Harn (keine eigene Erfahrung). Bestimmung
der d-ALAD-Aktivität in den Erys. Da es
sich hierbei um keine Routinebestimmung handelt, ist es ratsam, von vornherein
ein Labor ausfindig zu machen, das sie durchführt. Blut (zum Vergleich auch von einem unverdächtigen Tier) in Heparinröhrchen
auffangen und auf Eis legen, besser in flüssigen Stickstoff (Samentank).
Bestimmung der Pb-Konzentration vor und nach Behandlung mit Ca-EDTA sowie
Reaktion auf diese Behandlung. Bei verendeten Tieren kann die Pb-Konzentration
in Leber und Nieren festgestellt werden. In den Tubuluszellen der Nieren
finden sich intranukleäre, säurefeste Einschlüsse.
Von den "Bleikassen" werden Pb-Werte in der Leber ab 2,0 mg/kg als
bleivergiftungsbedingte Schadensfälle anerkannt.
Differentialdiagnosen:
Tollwut, CCN, ISTMEM, Listeriose, nervöse Ketose.
Therapie:
Quelle ermitteln und entfernen, MgSO4 per Sonde (zur Bindung
und Beschleunigung der Ausscheidung); Verabreichung von Komplexbildnern zur
Beschleunigung der renalen Ausscheidung.
Ca-EDTA oder CaNa2-EDTA (Dosierungsangaben 75 bis 110 mg/kg
in 7,5 %iger Lösung langsam i.v.) Die Behandlung muss über
mehrere Tage durchgeführt werden, weil Ca-EDTA Pb nur aus Knochen
ausschwemmt, und das Blei aus Leber und Nieren erst nach und nach abgegeben
wird. Eine solche Behandlungsperiode kann daher nach einer Pause von einigen
Tagen wiederholt werden. Mögliche Nebenwirkungen: Blutdruckabfall, Fieber, Anämie,
Thrombophlebitis, akutes Nierenversagen.
Mineralstoffe und Spurenelemente supplementieren. Thiamin (Dosierungsangabe
20 - 25 mg/kg zweimal täglich) soll die Aufnahme von Blei in Weichteilen
(Leber, Nieren, Gehirn) vermindern und die Symptome lindern. Unterstützende
Behandlung: Flüssigkeitszufuhr. Bei akutem Anfall (Hirnödem)
Mannit 1-2 g/kg in 20 %iger Lösung langsam i.v.(Problem: keine zugelassenen
Präparate verfügbar, was auch für Ca-EDTA-Präparate gilt.).
Prophylaxe:
Gewissenhafter Umgang mit bleihaltigen Stoffen und entsprechende Entsorgung.
Ein ungelöstes Problem ist die Frage, wann ein überlebendes Rind geschlachtet werden kann. Längst nicht alle exponierten Tiere einer Herde zeigen klinische Symptome. Die Halbwertszeit der Bleikonzentration im Blut nach Beendigung der Exposition variiert in sehr weiten Grenzen um das als Mittelwert berechnete Intervall von 135 Tagen.(Bischoff et al. J. Vet. Diagn. Invest. 2012; 24:182-7). In einem Fall wurde 2,5 Jahre nach der Exposition noch Blei in der Milch nachgewiesen. (Bischoff et al. Food Addit Contam Part A Chem Anal Control Expo Risk Assess. 2014;31(5):839-44)